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Jung und innovativ, bis die US-Finanzwelt am Boden liegt. „JR“ aus Wuppertal
Foto: Tom Buber

Das letzte Aufbäumen

28. Mai 2014

NRW Theatertreffen – Die bemerkenswertesten Inszenierungen Nordrhein-Westfalens zu Gast in Dortmund. Wuppertal ist dabei – Auftritt 06/14

Nur wer hat, der hat und kann das auch zeigen. In NRW zeigen die Theater einmal im Jahr ihre bemerkenswertesten Inszenierungen. Wer also nicht mobil oder vom Verkehrverbund Rhein-Ruhr (VRR) enttäuscht ist, der kann in diesem Jahr in Dortmund vieles Sehenswertes komprimiert bestaunen oder auch nicht. Das Schauspiel Dortmund freut sich jedenfalls auf das NRW Theatertreffen 2014 und zeigt eine ganze Woche Inszenierungen, Konzerte, Kino und ein Rahmenprogramm rund um das Thema „Theater und Virtualität“. Es soll auch den kreativen Reichtum der Theaterlandschaft des bevölkerungsreichsten deutschen Bundeslandes widerspiegeln. Zu sehen sind zehn Inszenierungen aus den bekannten Häusern zwischen Bielefeld und Aachen, aber auch kleineren Bühnen aus Münster oder Paderborn. Das ausrichtende Haus aus Dortmund ist nicht vertreten, dafür aber die sterbende Kulturstadt Wuppertal.

Von hier kommt die Multimedia-Inszenierung „JR“ nach Dortmund, eine furiose Kapitalismuskritik nach dem Roman von William Gaddis, eine letzte Uraufführung aus der Stadt, die ihr Theater inzwischen längst abgeschafft hat. Ein elfjähriger Rotzlöffel zeigte dort, wie man aus Gutscheinen und Coupons für Ramschangebote ein Finanz-Imperium zusammenbraut, das irgendwann sogar die größte Volkswirtschaft bedroht. Leider hat JRs Unternehmergeist kein gutes Ende, oder sagen wir mal, es zeigt keine Hoffnung für eine Beschneidung der Konzerninteressen. JR, 1975 erschienen und mit dem National Book Award, dem höchsten Literaturpreis der USA, ausgezeichnet, ist eine brillante Satire auf die Auswüchse des kapitalistischen Systems und dessen „hire and fire“ als grundlegendem Prinzip von Wertschöpfung und Personalpolitik; ein grandioses Zeitpanorama der amerikanischen Gesellschaft mit all seiner auch heutigen Atemlosigkeit, Gier und Rücksichtslosigkeit; ein Schlüsselroman der US-Literatur.

Mit einer ähnlichen Thematik eröffnet das Schauspielhaus Bochum das Theatertreffen. „Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“ nach dem Film von Aki Kaurismäki (Finnland/Schweden, 1990) erzählt die traurige Geschichte von Iris, die in einer entmenschlichten Welt ihren Job macht. Maschinen haben die Interaktionen ausgeschaltet. Nach einer persönlichen Tragödie schafft das Mädchen alle Bezugspersonen aus ihrer Welt. Aus Münster kommt das „Multikulti“-Rechercheprojekt „Die deutsche Ayşe. Türkische Lebensbäume.“ Tuğsal Moğul, Theatermacher und Arzt, Westfale und Sohn türkischer Einwanderer, beschreibt darin die Lebensläufe dreier türkischer Frauen der ersten Einwanderer-Generation, die den Großteil ihres Lebens im Münsterland verbrachten. Ein szenischer Beitrag über selbstbewusste mutige Frauen zur immer wieder aufflammenden Debatte um das Gelingen der sogenannten Integration.

Aus Oberhausen kommt Aischylos‘ „Die Orestie“, die auch in Düsseldorf gerade Premiere hatte. Der australische Regisseur Simon Stone inszeniert sie am Oberhausener Theater. Es geht um die Frage, wie Gewalt enden kann: Wie ist Gerechtigkeit möglich in unserer Welt? Sind wir nur auf die schwankende Gunst wankelmütiger „Götter“ angewiesen? Jetzt ist „Die Orestie“ in einer ungewöhnlichen Interpretation zu sehen, denn Simon Stone schreibt, wie die Klassiker dem Mythos folgend, den Text völlig neu, als Geschichte von heute.

Neben den Theaterstücken gibt es ein wildes Rahmenprogramm aus Panels, Konzerten, Filmen und Performances. Auch in den Panels geht es um „Theater und Virtualität“, zu hören sind internationale Stars der Theatermusik, die über die Verbindung zwischen Wort und Musik, Geräusch und Klang referieren oder John von Düffel vom Deutschen Theater Berlin, der zusammen mit der österreichischen Kulturwissenschaftlerin Karin Harrasser über die Frage „Welche Art von Phantasma ist der verbesserte Technokörper, wenn wir doch nie ganz wissen können, was er noch alles können wird?“ diskutiert. Außerdem gibt es Katerfrühstückskino mit den Filmen „Sexmonster“ von Jörg Buttgereit und „Die Reise ins Glück“ von Wenzel Storch im Institut des Schauspiel Dortmund. Wieso eigentlich Katerfrühstück?

NRW Theatertreffen 2014 | 13. - 20.6. | Theater Dortmund | www.nrw-theatertreffen.de | 0231 50 27 222

PETER ORTMANN

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