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Linda lässt sich gehen – Rock'n'Roll auf dem Boxspringer
Foto: Birgit Hupfeld

Exorzismus für Dummies

22. Dezember 2015

Horrorspezi Jörg Buttgereit inszeniert „Besessen" auf der Dortmunder Studiobühne – Auftritt 01/16

Manchmal kann man seine Augen nicht vom Bühnenbild lassen. Filmbücher im Regal, seltene Figürchen, alte Platten, Super-8-Projektoren und man ist so nah dran. Verdammt. „Der Exorzist" zuerst in Schnipseln auf Super 8, das war mir neu. Aber die Studentenbude voller Horrorklassiker in der Dortmunder Studiobühne mutiert selbst zum Tatort unglaublicher Blutorgien. Aber erst mal gibt es Pizza. Gerd Friedekind (Ekkehard Freye) stimmt seinen Kumpel Marian (Björn Gabriel) auf den Filmabend ein, eben „Der Exorzist" von William Friedkin soll es werden, und erst mal plappern die zwei vom Horror der Jugend und dem Wesen Zelluloid. Wenn die Raritäten im stilechten 1980er-Interieur tatsächlich echt sind, dann könnte dies einst auch das Zimmer von Regisseur Jörg Buttgereit gewesen sein, so nah jedenfalls hatte er die Zuschauer bisher nie an sich herangelassen. Ein bisschen schräg wird es schon, wenn Marian Karras seinem Kumpel erzählt, dass er bereits einem echten Exorzismus beigewohnt hat (kein Wunder bei seinem Nachnamen). Horrorfilmfreak Gerd kann das kaum fassen.

Doch der Abend entwickelt sich natürlich unmerklich für die zwei zum Horrortrip. Der VHS-Rekorder läuft und irgendwann liegt tatsächlich eine junge Frau (Sarah Sandeh) im Bett. Sie heißt Linda, sie räkelt sich. Linda schaut böse. Für Gerd ist klar, das ist Linda Blair, die Schauspielerin aus dem Exorzisten. Oder ist das der Dämon im Linda Blair-Outfit? Herr Karras, angehender Mediziner (und nicht Priester) findet das gar nicht lustig, denn eigentlich mag er Horrorfilme nicht. Doch Gerd ist begeistert, spricht mit Dämonenstimme, glänzt mit Spezialwissen. Dann pinkelt Linda Blair neben das Bett auf den Boden. Die Unbekümmertheit ist gewichen, jetzt sind die zwei in den Film gesogen worden, obwohl sie gar keine magische Eintrittskarte hatten, und die letzten Action-Heroes sind die beiden mit ihren Badelatschen auch nicht gerade. Aber die Szenerie rockt jetzt. Regan Teresa MacNeil gibt alles auf dem Boxspringer, Blut und Blut und nochmal Blut und viel Spucke. Da will man doch helfen, doch den beiden Dumpfbacken fällt natürlich nix anderes ein als ein Exorzismus. Zu spät, aus Linda Blair ist längst Susan Atkins geworden und die Nacht der langen Messer ist noch längst nicht vorüber. Und so taucht das Böse selbst auf. Und wer könnte das in einer Buttgereit-Inszenierung anderes sein als Uwe Rohbeck? Mit dem Eier-Zitat aus „Angel Heart" tritt er auf, schick wie Robert De Niro, teuflisch wie Charles Manson. Passend wird Sharon Tate gerade das Ungeborene aus dem Leib geschnitten. Theaterblut und Chucky die Mörderpuppe in einem durchsichtigen Luftballon: O.K., das geht einigen im Publikum wohl an die Nieren, spätestens als der Ballon platzt und alles und alle – auch die Akteure – durch das Zimmer fliegen. Buttgereit ist sich darüber im Klaren, dass er in einem Theater agiert und keinen Film dreht. Insofern können die Schockelemente nicht eine ähnliche Wirkung haben und brauchen sie auch nicht. Seine Adaptionen sind immer mehr Hommage als Interpretation.

Der Break jedenfalls funktioniert. Denn danach ist nichts mehr wie es war. Der Exorzismus ist in die Hose gegangen, der Teufel im Bett vergewaltigt den armen Medizinstudenten mit dem Kruzifix: „Ihr werdet alle sterben." Ja klar. 1974, da war die Horrorwelt noch in Ordnung. Da gab es Herzattacken und Fehlgeburten im Kino. „Der Exorzist" heute? Ich weiß nicht. Es ist weniger die Geschichte, sondern die Gedankenwelt hinter der Geschichte, die gruselig bleibt. In einer Welt, in der jeder jederzeit wie Glas durchschaubar wird, werden die Fragen nach dem Puppetmaster hinter den Kulissen wieder drängender. Wenn man so an die Inszenierung herangeht, dann hat das schon etwas Bedrohliches. Das gruseligste jedenfalls war der aus dem Regal geflogene kleine grüne Hulk mitten im vergossenen roten Theaterblut. Das war richtig hart.

Am Ende entkommen die beiden dem Alptraum, indem sie den Videorekorder manipulieren und durch geschicktes Vor- und Zurückspulen die Twilight-Zone verlassen können. Das Böse wird wieder auf die Kassette verbannt. Doch das Zimmer bleibt verwüstet, und körperlich haben die zwei auch etwas gelitten. Beifall. Jubel. Und die echten Studenten in der ersten Reihe überlegen, wie sie an die Pizzareste kommen. Grusel.

„Besessen" | R: Jörg Buttgereit | Sa 9.1., Sa 23.1. 20 Uhr, So 31.1. 18.30 Uhr | Theater Dortmund | 0231 502 72 22

PETER ORTMANN

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