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Foto: Ava Weis

Große Bühne fürs Exil

13. November 2019

Heiner Bontrups „Die Schutzbefohlenen“ im Opernhaus Wuppertal

Ein Ereignis, auch wegen seiner Dimensionen: Im Opernhaus war die Uraufführung „Die Schutzbefohlenen“ zu sehen, die der Autor Heiner Bontrup verantwortet und „Video-Oratorium“ genannt hat. Im Festjahr Else Lasker-Schülers greift es einen wichtigen Aspekt ihrer Biografie heraus und gestaltet dazu einen groß angelegten Abend: Flucht.

Wer Bontrups „Theater Anderwelten“ kennt, hat vielleicht schon Erfahrung mit für ihn Charakteristischem, das auch heute zu Tage tritt – als da wären: Das Multimediale und, eben, das Große. Entstanden ist so eine sinnliche Schau zu erzwungener Fremdheit und der Zeitlosigkeit dieses Schicksals.

Groß ist nicht zuletzt Kreis wie auch Rang der Teilnehmenden der Kulturszene, die sonst selten gemeinsam auf einer Bühne stehen. Das Ensemble der Kölner Hochschule für Musik und Tanz, (Standort Wuppertal) trägt den Abend musikalisch. Mathias Haus schuf dafür Kompositionen mit dem Anspruch, die Worte in moderne zeitgenössische Musik zu verwandeln. Gespielt werden diese von einem zehnköpfigen Orchester–- darunter neben Klavier und Streichern auch Schlagzeug, Harfe und ein Flügelhorn. Schauspieler der Bühnen sind aufgefahren, darunter der Intendant, eine Tänzerin aus Pina Bauschs Zeit an der Spitze des Tanztheaters, ein renommierter Lichtkünstler.

Und vor der Aufführung gibt es eine Podiumsdiskussion: Neben Heiner Bontrup sind unter anderem Matthias Nocke, Wuppertals Kulturdezernent, und Hajo Jahn, Vorsitzender der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft dabei. Thema: "Flucht und Verfolgung: ein Menschheitsthema?" Die Linie des Stücks beantwortet die Frage klar mit „ja“.

Foto: Ava Weis

Bei besagter Pluralität der Mittel ist zunächst einmal protokollarische Sorgfalt sinnvoll, um den Überblick zu sichern, beginnend mit den kontinuierlichen Elementen: Ein Video des Lichtkünstlers Gregor Eisenmann läuft als Projektion wandfüllend zum gesamten Bühnengeschehen. Angelegt ist es abstrakt bis assoziativ; konkret wird es etwa wenn es vorne um Flüchtende in Seenot geht und die zuweilen amorphen Bilder sich formen zu fragilen Schiffchen. Sie machen die Lebensgefahr neben der verbalen Live-Aktion hinreichend sichtbar. Mehr Visualisierung braucht es nicht. Eine Art „Stream“ bildet zusammen mit dem Film die Musik: Das Hochschulensemble vertritt verlässlich die zweite Kunstform des Abends, die durchgängig präsent ist und prägt. Das kann bei allem Orchestralen auch schon einmal nach Pop klingen, wo es passt.

Zwischen allgemein-atmosphärisch und speziell-kommentierend ist da Chrystel Guillebeaud vielleicht ein Mittelding: Die Tänzerin tritt vor die Leinwand, neben das Geschehen, und ihre stummen Bewegungen, weit ausgreifend, wirken kämpferisch – und doch zuweilen wie hilflos.

Und dann die Akteure mit Auftritten, aus denen das Stück sich aufbaut. Fremd sein und bleiben: Das kennen sie alle. Die Dichterin und Jubilarin musste vor den Nazis nach Palästina fliehen und starb in Jerusalem, und im Stück zu ihren Ehren reihen Schicksalsgenossen sich ein. Der Titel ist selbst ein Fall des ganz großen Bezugs: „Die Schutzbefohlenen“ heißt ein Stück des altgriechischen Dramatikers Aischylos. Benannt ist damit ein Bezugspunkt. Denn dort fliehen Frauen vor Zwangsverheiratung. Fundamental (und eng in Zusammenhang damit) ist denn auch die Anknüpfung an die heutige Fluchtsituation. Yasser Niksida und Shazamir Hataki mussten aus aktueller Verfolgung fliehen und bringen eindrücklich die Gegenwart zu Gehör. Denn Fremdheit kennt auch ein Flüchtling, der aus Afghanistan zunächst in den Iran geflohen ist, auch wenn er versucht, sich zu arrangieren: „Ich bin wie eine Schlange geworden, die sich häutet.“ Hinzu kommen außerdem historische Persönlichkeiten mit, wie man heute sagen würde, Fluchterfahrung: Neben Lasker-Schülers Worte treten Auszüge aus Hannah Arendts Essay „We Refugees“ sowie Zitate der Dichterinnen Mascha Kaléko und Nelly Sachs.

Was dann die Bühnenaktion und ihre Akteure betrifft: Da gibt es einerseits Figuren und, andererseits, kurz gesagt, Sprecher. Zu Letzteren gehört Thomas Braus, der schon zu Beginn ans Mikro tritt: würdevoll, aber in gebotener Zurückhaltung. Auch Bernd Kuschmann, langjähriges Ensemblemitglied des Schauspiels und einst Braus‘ Kollege, gibt Auskunft zu Flucht gestern und heute; wer immer fasziniert schon von der Präsenz seiner Stimme war, ist vielleicht ganz froh, dass er heute meist aus dem Hintergrund liest und so gleichfalls darauf verzichtet, die letztlich sachliche Rolle zu einnehmend werden zu lassen.

Foto: Ava Weis

Das nämlich gebührt ja doch den Figuren. Die faktische Einrahmung lässt es dann umso stärker wirken, wenn mal eine Person als Figur hervor tritt und berührt, statt nur zu informieren. Else Lasker-Schüler ist zunächst Autorin der von Julia Wolff vorgetragenen Texte, aber zur Gestalt, zum Bühnensubjekt also, macht Wolff sie bald doch auch. Und das nun wird man die zentrale Idee der Dramaturgie von „Die Schutzbefohlenen“ nennen dürfen: die Zusammenführung von historisch und heute, von Jubiläum und Politik, Biografie und Gegenwart. Die Begegnung der Jüdin zur Nazizeit und der Syrerin im Bürgerkrieg. Margaux Kier ist ihr aktuelles Gegenüber und spricht die Dichterin direkt an, anrührend treten die Frauen über die Zeit in den Dialog. Kier war es auch, die zuvor, neben den realen Geflüchteten, vielleicht als Erste ganz als menschliches Individuum wirkte: „Ich vermisse deine Nächte, Damaskus.“

Martin Hagemeyer

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