Eine Retrospektive ist immer eine heikle Sache. Sie hat die Verpflichtung, alle relevanten Werkphasen zu berücksichtigen und weckt die Erwartung auf neue Erkenntnisse. Für die Ausstellung von Sigmar Polke in Köln bedeutete dies, eine Vielzahl künstlerischer Medien und experimenteller Methoden einzubeziehen.
Polke, der 1941 in Schlesien geboren wurde, an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Gerhard Hoehme und K.O. Götz studiert hat und später Professor in Hamburg war, ist 2010 in Köln gestorben. Seit langem gehört er mit Baselitz, Anselm Kiefer und Gerhard Richter zu den weltweit renommierten Malern aus Deutschland. Das überrascht insofern, als sich sein Werk wie ein Chamäleon verhält und jeder schnellen Rubrizierung entzieht. Es ist aufregend disparat.
Ausgehend von der realistischen Malerei, in der er sich auch mit der Abstraktion auseinandersetzt und die Pop Art berührt, schlägt Polke frühzeitig verschiedene stilistische Modi ein. Seit Beginn der 80er Jahre erneuert er sein Werk sozusagen, indem er mit wechselnden Malmaterialien und mit chemischen Methoden arbeitet und transparente Folien als Leinwände verwendet oder diese wiederum durch Folien verdeckt. Diese Hinterfragung der Malerei selbst – neben die u.a. das Filmen und die Fotografie sowie Objekte treten – verdeckt ein bisschen, dass Polke ein zutiefst gesellschaftskritischer Künstler war. Zusammen mit Gerhard Richter, Manfred Kuttner und Konrad Lueg hatte er 1963 den „Kapitalistischen Realismus“ als Stilrichtung proklamiert.
Polkes zentrales Thema ist das gesellschaftliche Leben in Deutschland in blühenden wirtschaftlichen Zeiten mit der Verdrängung der Nazi-Verbrechen. Zur nachdenklichen Ironie und Doppelbödigkeit trägt bei, dass er auf die kitschigen Rapporte bedruckter Stoffe malt oder seine Darstellungen aus Rasterpunkten aufbaut. Er wehrte sich gegen die Vorstellung vom Künstler als Genie und kokettierte dazu mit der Kraft des Übersinnlichen. „Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!“ (1969) heißt eines seiner bekanntesten, in Köln ausgestellten Gemälde: In eine weiß gemalte Leinwand ragt von oben eine schräge schwarze Fläche, im unteren Bereich ist wie mit Schreibmaschine der Titel notiert. So war das mit der Kunst und den Erwartungshaltungen.
Werkschauen mochte er nicht, hatte aber eingewilligt, als eine Anfrage aus der sicheren Ferne, vom Museum of Modern Art in New York kam. Vorbereitet vom MOMA und der Tate Modern in London, ist diese Retrospektive nun in Köln zu sehen. In seiner gediegenen Schau versucht das Museum Ludwig den Maler und den kritischen Künstler gleichermaßen herauszuarbeiten. Ob Polke diese museale Wertschätzung gefallen hätte?
„Sigmar Polke – Alibis“ | bis 5.7. | Museum Ludwig in Köln | 0221 221 261 65
„Sigmar Polke, Annäherung an Venedig – Filme und Trabanten der Biennale 1986“ | bis 5.7. | Museum Abteiberg Mönchengladbach
„paper is part of the picture – Europ. Künstlerpapiere von A. Dürer bis G. Richter“ | bis 31.5. | Leopold-Hoesch-Museum, Düren
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