engels: Herr Giegold, Sie haben einen Wunsch frei. Was ändern Sie im europäischen Steuerrecht als Erstes?
Sven Giegold (lacht): Ich würde einen Mindeststeuersatz einführen – auf alle Kapitaleinkommen. Egal ob Großunternehmen, kleine Unternehmen, Zinsen oder Dividenden. Null Besteuerung darf es nicht geben. 25 Prozent wären doch ein guter Satz. Vielleicht kann man für arme Staaten wie Rumänien in der Übergangsphase einen niedrigeren Satz festlegen. Ansonsten wäre damit dem Treiben ein Ende gesetzt, Gewinne in andere Länder zu verschieben. Sie würden überall fair besteuert.
Was sollte die EU gegen Steuerschlupflöcher außerdem tun?
Transparenz zu schaffen, wäre das Nächste. Wenn öffentlich wäre, welche Unternehmen in welchem Land wie viele Gewinne machen, würde auffallen, wenn sie ihre Gewinne in Niedrigsteuerländer verschieben. Bisher ist das keine Pflicht. In Deutschland ist die Große Koalition entschieden dagegen, obwohl man das in Europa ganz einfach im Mehrheitsverfahren festlegen könnte.
Wie sieht es mit den privaten Steuersündern aus?
Erst einmal haben wir, was die internationale Steuerflucht angeht, große Fortschritte gemacht. Wer noch vor wenigen Jahren gedacht hätte, dass das Schweizer Bankgeheimnis für Steuerbetrüger fallen würde, wäre für verrückt erklärt worden. Weil Privatpersonen auch Unternehmen nutzen, um Steuern zu hinterziehen, ist es nun wichtig, Schattenfirmen, Stiftungen, Trusts und dergleichen in eine effektive Besteuerung einzubeziehen.
Muss die Straffreiheit bei Selbstanzeige einer Hinterziehung abgeschafft werden?
Da stimme ich zu. Ich finde, ab einer bestimmten Höhe der hinterzogenen Summe darf es keine Sonderrechte mehr geben. Es ist kein Kavaliersdelikt, in großem Maße Steuern zu hinterziehen.
Wie viel Geld verliert der deutsche Staat durch Steuerflüchtlinge?
Dazu muss man leider sagen: Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. Insbesondere bei Daten zu illegalen Aktivitäten sind die Zahlen nicht aussagefähig. Man schätzt, dass die Menge des im Ausland verwalteten Kapitals von Privatpersonen bei etwa 10 Billionen US-Dollar liegt. Der jährliche Schaden läge dann bei einigen 100 Milliarden Euro. Für Unternehmen sind solche Statistiken völlige Science Fiction.
Ist es fair, dass Besserverdiener den Staat mit höherem Aufwand mitfinanzieren als Geringverdiener?
Natürlich. Jeder soll seinen gerechten Anteil an der Finanzierung der öffentlichen Hand beitragen. Wenn jemand ärmer ist, fällt es ihm ja wesentlich schwerer, niedrige Steuern zu bezahlen. Für jemanden, der reich ist, sind hohe Steuern leichter zu stemmen. Ärmere Menschen sind außerdem schon mit den Konsumsteuern belastet. Jemand, der wenig hat, gibt oft genug sein ganzes Geld aus, manchmal sogar mehr. Wenn man gerade so über die Runden kommt, sind 7 bzw. 19 Prozent Mehrwertsteuer im Laden eine erhebliche Anstrengung. Einem Spitzenverdiener fallen Steuern kaum zur Last. Gott sei Dank sind die Rufe nach der Flattax unmodern geworden.
Flattax – können Sie das kurz erklären?
Das wäre ein einheitlicher Steuersatz für alle – eine ungerechte Privilegierung von Menschen mit hohem Einkommen.
Geht die Schere zwischen Arm und Reich auch deshalb auseinander, weil Großverdiener noch zu wenig besteuert werden?
Auch hier will ich nicht widersprechen. Es gibt zwei Gründe dafür. Erstens gehen die Markteinkommen auseinander. Durch die Globalisierung verdienen Menschen mit besonderen vermarktbaren Fähigkeiten viel mehr als Menschen ohne besondere Ausbildung. Der Staat hat sich mit der Globalisierung der Wirtschaft zweitens nicht mehr getraut, höhere Einkommen und insbesondere Kapitaleinkommen ausreichend zu besteuern.
Wie würden Sie denn Großverdiener besteuern?
Europa muss endlich den aggressiven Steuerwettbewerb beenden. Wenn ganz Europa zusammenarbeitet, kann das Kapital nicht einfach einen gemeinsamen Markt von 500 Millionen Einwohnern umgehen. Höhere Steuereinnahmen sollten wir vor allem in Bildung und Integration stecken.
Halten Sie es für gerecht, dass Prominente nach einer Steuer-Straftat am Pranger stehen?
Ich finde ehrlich gesagt erstaunlicher, dass Prominente, die ihren Wohnsitz nach Österreich oder in die Schweiz verlagern, immer noch als Volkshelden gefeiert werden. Sie verdienen damit weiterhin ein Saugeld in Deutschland. Dafür habe ich kein Verständnis. Ob es die Schumachers waren oder Franz Beckenbauer – das wird denen nicht nachgetragen. Sie haben ihre Karrieren in Deutschland begonnen und haben hier ihr Publikum für Werbeeinnahmen. Dann sollten sie auch hier ihre Kapitaleinkünfte versteuern.
Sie sind Mitinitiator von FinanceWatch. Worum geht es da?
Das Ungleichgewicht zwischen von der Finanzwirtschaft finanzierten Lobbyisten und den sogenannten „Good Lobbies“ von Verbraucherschützern etc. war in Brüssel eklatant. Die Abgeordneten im EU-Ausschuss für Wirtschaft und Währung haben eine Gegenlobby eingerichtet. FinanceWatch informiert aus kritischer Perspektive über Finanzmarktthemen, insbesondere bei der Gesetzgebung.
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