Wirtschaftswissenschaftlerin Lisa Paus (47) ist Mitglied des Bundestags für die Grünen. Einer ihrer Schwerpunkte ist das Thema Steuergerechtigkeit.
engels: Frau Paus, sind die Steuern in Deutschland gerecht?
Lisa Paus: Nein, es gibt eine Reihe von Beispielen, die zeigen, dass unsere Steuergesetze viel gerechter sein könnten. Wir finden es zum Beispiel ungerecht, dass Arbeitseinkommen in Deutschland höher besteuert wird als Kapitaleinkommen. Seit 2009 gibt es eine pauschale „Flat Tax“ auf Kapitaleinkommen pro Kopf. Außerdem ist es so, dass es in Deutschland für die Superreichen faktisch keine Vermögensbesteuerung mehr gibt. Die Grundsteuer ist nicht der Rede wert und muss teils vom Mieter übernommen werden, die Vermögenssteuer ist seit 1996 ausgesetzt. Bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer kommen millionenschwere Erben von Betriebsvermögen oft steuerfrei weg, während für das Erbe von Omas Haus bis zu 30 Prozent gezahlt werden muss. Das kann man deutlich gerechter machen, und es gibt Wissenschaftler, die sagen, dass die auseinanderklaffende Wohlstandsschere zu einem Drittel aus dem Steuersystem herrührt.
Muss es einen stärkeren Staat geben, um für mehr Steuergerechtigkeit zu sorgen?
Wirtschaftswissenschaftlerin Lisa Paus (47) ist Mitglied des Bundestags für die Grünen. Einer ihrer Schwerpunkte ist das Thema Steuergerechtigkeit.
Ich brauche keinen starken und keinen stärkeren Staat. Was wir aber brauchen, ist ein funktionierender Staat. Es macht mir schon Sorgen, wenn ich als Abgeordnete miterlebe, wie stark die Lobbyverbände von wohlhabenden Interessensgruppen Einfluss darauf haben, Steuergesetze zu ihrem Vorteil zu ändern. Viele Herausforderungen unserer Zeit lassen sich mit einem gut funktionierenden Staat besser lösen als ohne. Hier würde ich mir ein stärkeres Parlament wünschen und eine aufmerksame Berichterstattung.
Welche Maßnahmen kann der Staat denn ergreifen?
Wir haben in Deutschland ein gutes Gespür dafür, was gerecht oder ungerecht ist. Deshalb wird es keine Zustimmung für eine Reform geben, wenn sie nicht zu Gerechtigkeit führt. Das ist also entscheidend. Neben den oben genannten Beispielen finde ich, dass es in der Ehe- und Familienbesteuerung ungerecht zugeht, weil sie die heutigen Familienformen nicht mehr abdeckt. Nicht alle Kinder wachsen in klassischen Konstellationen auf und nicht alle Paare bleiben 50 Jahre lang zusammen. Wir haben über drei Millionen Kinder, die bei unverheirateten Eltern aufwachsen, die aber die Vorteile des Ehegattensplittings nicht in Anspruch nehmen können. Die Familienförderung hängt also nur am Trauschein und nicht daran, ob Kinder da sind. Statt Ehen sollte man Kinder fördern.
Kommen wir zur Verwendung der Steuergelder. Müssen Kommunen durch Zuschüsse stärker entlastet werden?
Die Schere zwischen armen und reichen Kommunen geht immer weiter auseinander. Steuereinnahmen, Museen und Theater, sanierte Schulen und niedrige Ausgaben für Sozialleistungen sorgen in vielen Orten für eine hohe Lebensqualität. Demgegenüber stehen marode Turnhallen, geschlossene Büchereien und Schwimmbäder sowie Mangelverwaltung in anderen Gemeinden. Wir Grüne streiten schon sehr lange dafür, dass eine Einnahmemöglichkeit der Kommunen – die Gewerbesteuer – ausgebaut wird zu einer kommunalen Wirtschaftssteuer. Damit die Einnahmen für die Kommunen stabiler sind und nicht bei Konjunkturschwankungen abflachen. Gerade für die finanzschwachen Kommunen fordern wir deshalb ein Sonderprogramm des Bundes in Höhe von 10 Milliarden Euro für die Sanierung in Schulen.
Ein großes Thema ist auch die Finanztransaktionssteuer. Ist diese Steuer ein probates Mittel, um mehr Geld einzunehmen?
Ja. Das renommierte Wirtschaftsinstitut DIW hat berechnet, dass Deutschland bis zu 45 Milliarden Euro pro Jahr durch die Einführung einer solchen Steuer einnehmen kann, würde man die Steuer in der EU einführen. Das ist sehr viel Geld, um Armutsbekämpfung, Klima- und Umweltschutz endlich voranzubringen. Außerdem wäre es gut für die Finanzmärkte, weil der Hochfrequenzhandel, der keinen volkswirtschaftlichen Nutzen hat, auch eingedämmt würde.
Warum hakt es denn so bei der Einführung dieser Steuer? Auf den Punkt: Sind Leute dagegen, die selbst große Aktienpakte besitzen und diese Steuer blockieren?
Ich befürchte, ja. Das Problem ist, dass alles um diese Steuer mittlerweile ein völlig intransparenter Prozess geworden ist. Es ist den Akteuren gelungen, das Thema von der öffentlichen Debatte abzuschirmen. Dass es in den Verhandlungen immer wieder zu Verzögerungen kommt, nagt an der Glaubwürdigkeit, wie ernst es der Bundesregierung überhaupt noch mit der Einführung der Steuer ist. Fest steht: Die Steuer kann nun frühestens 2019 erhoben werden, obwohl sie ursprünglich bereits 2012 als Einnahme im Bundeshaushalt eingeplant war.
Wenn Sie sich diese Steuer wünschen dürften, wie würde sie aussehen?
Das Wichtige ist, dass sie tatsächlich auf alle Finanztransaktionen erhoben wird, damit es keine Ausweichmöglichkeiten gibt. Keine negativen Anreize für irgendwelche Quergeschäfte, sondern eine Steuer, die für alle gilt. Es ist auch wichtig, dass es eine Kombination aus Sitzland- und Ausgabeprinzip gibt, so dass sämtliche Produkte sowie alle Käufer und Verkäufer in der EU berücksichtigt werden. Das würde den Finanzmarkt beruhigen und ihn adäquat an den Kosten des Gemeinwesens beteiligen.
Wie hoch stellen Sie sich den Steuersatz vor?
Für die bereits genannten 45 Milliarden Euro jährlich würde ein Steuersatz von 0,1 Prozent für Wertpapiere und 0,01 Prozent für Derivate völlig ausreichen.
Aktiv im Thema
www.euractiv.de | Medium für Europapolitik
www.diw.de | Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
netzwerksteuergerechtigkeit.wordpress.com | Netzwerk Steuergerechtigkeit
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