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„Keine verschwendete Jugend“

22. Dezember 2011

Fehlfarben-Trommler Uwe Bauer über die Anfänge von Punk – auch im umtriebigen Wuppertal – Künstlergespräch 01/12

engels: Herr Bauer, als ich 1984 zum ersten Mal „Monarchie und Alltag“ gehört habe, ist mir der Mund offen stehen geblieben. Das war Musik von einem anderen Stern: verstörend, gleichermaßen aggressiv und depressiv. Können Sie die berühmteste Fehlfarben-Platte selbst noch hören?
Uwe Bauer:
Ja, das kann ich, weil die Platte in sich stimmig ist. Ich finde nach wie vor, dass „Monarchie und Alltag“ zum richtigen Zeitpunkt rausgekommen ist und den Geist der Zeit eingefangen hat. Im Gegensatz zu vielen anderen Veröffentlichungen damals. Schade ist, dass die beiden Fehlfarben-Alben danach, „33 Tage in Ketten“ und „Glut und Asche“ kaum mehr Erwähnung finden.

Ende der 70er Jahre war Musik mehr von Haltung und Weltanschauung geprägt, weniger von Handwerk, wie noch zuvor bei Art Rock-Dinosauriern wie Genesis oder Yes. Was war Ihre Haltung?
Ich bin von Beginn der 70er Jahre an regelmäßig nach London gefahren, so habe ich die Entwicklung von Punk mitbekommen. 1977 habe ich dann einen Auftritt von The Clash und den Boomtown Rats gesehen. Das hat mich einfach umgehauen. Zurück in Wuppertal, wo ich damals gelebt habe, standen einschneidende Veränderungen an. Erstens: Haare ab. Zweitens: Alles Vergangene war nun Scheiße. Drittens: endlich ein Schlagzeug kaufen und auftreten – obwohl ich keine Ahnung vom Musikmachen hatte. Es war eine Befreiung.

Wie war das Lebensgefühl in den 80er Jahren? In was für eine Welt wurden Jugendliche reingeworfen?
Alles war sehr angepasst, sehr konform. Um uns davon abgrenzen zu können, war Ablehnung und Widerstand überlebenswichtig. Eine andere Sache war das Vertreten konträrer Positionen. Als die Grünen gefordert haben, Atomkraftwerke abzuschalten, fanden wir AKWs geil: Baut mehr solcher Dinger!

Bei kleinen Kindern heißt das Trotzphase.
Genau. Neben der Trotzhaltung war für mich aber entscheidend, den Arsch hochzukriegen und mein Ding zu machen: Do it yourself!

Also doch nicht „No Future“?
Doch. Aber „No Future!“ hieß für uns: nicht die Zukunft zu wollen, für die sich die anderen entschieden haben.

Das werden viele Punks aber ganz anders gesehen haben, oder?
Ich erinnere mich an Auseinandersetzungen Anfang der 80er Jahre, wo ich den Leuten gesagt habe: Wenn du gegen alles hier bist, dann mach deinen Kram auch alleine. Und geh nicht zum Sozialamt, um dich von denen durchziehen zu lassen, gegen die du eigentlich bist. Dann widersteh auch wirklich.

Wenn ich die Titel der „Monarchie und Alltag“ lese, überkommt mich ein Frösteln: Angst – Grauschleier über der Stadt – Apokalypse – Paul ist tot. War das Leben damals so farblos und hoffnungslos depressiv?
Es gab sehr wenige Anknüpfungspunkte zwischen dem, was man Gesellschaft nennt, und uns, dafür eine riesige Kluft. Die Ablehnung, die von uns kam, war wichtig, um Raum für Experimente zu erkämpfen, für Gegenentwürfe. Anfang der 80er war es plötzlich schwieriger geworden, nach der Schule einen Job zu finden. Da gab es nicht mehr so viele Jahre zu verschwenden, wie vielleicht noch vorher. Dagegen zu sein, war enorm wichtig.

Wie wichtig waren zehn Jahre bekiffte Hippiekultur mit Songs über eine ganze Schallplattenseite für das Entstehen von Punk?
Entscheidend war das Festgefahrene. Zu dem, was musikalisch Mitte der 70er so passierte, hatten viele Jugendliche keinen Bezug mehr. In einer Industriestadt wie Manchester gab es die ersten Arbeitslosenwellen, im Londoner Stadtteil Brixton die ersten Aufstände. Was hatte die Art Rock-Onanie vieler Hippiebands noch mit den veränderten Lebenswelten von Jugendlichen zu tun?

Was ist zu der Geburtsstunde von Punk und New Wave in Wuppertal passiert?
Anfangs war es ziemlich schwer, hier etwas anzuleiern. Bei den ersten Konzerten, die ich in der börse organisiert hatte, herrschte völliges Unverständnis über Bands wie S.Y.P.H. und ihren Krach auf der Bühne. Niemand hat’s kapiert. Das deckte sich mit der Ansicht der etablierten Musikmafia, dass diese Musik keine Zukunft hat. Als Punk dann ins Rollen kam, ist die Stimmung gekippt. Auf einmal bildeten einige der etablierten Musiker Bands, die mit ihrer ganzen Erfahrung auf den Zug aufspringen wollten. Also, eine Zeitlang gab es eine richtige Aufbruchsstimmung im Tal, vor allem, als art Attack noch hier war ...

... Die Kunstgalerie von Frank Fenstermacher, ebenfalls Musiker bei Fehlfarben.
Genau, die Galerie von Fenstermacher und Moritz Reichelt. Moritz kam ursprünglich aus der Kunstszene, hat später viele Plattencover gemacht. Zu ihnen ist Kurt Dahlke gestoßen, die drei waren dann die Besetzung der Band Der Plan. Später hat Kurt bei mir zu Hause in der Bärenstraße das erste Pyrolator-Album „Inland“ aufgenommen. Ja, und fast die komplette Urbesetzung von DAF, der Deutsch-Amerikanischen Freundschaft, hat im „Grün In“ in Gevelsberg gelebt und geprobt, bevor sie dann nach England gegangen ist.

Der amerikanische Musikkritiker Greil Marcus nennt die Punkbewegung in einem Atemzug mit dadaistischer Kunst. Seiner Meinung nach verbindet beide gegenkulturelle Entwürfe eine Gemeinsamkeit: Infiziert mit dem Geist des Nihilismus schafften sie es, die gesellschaftliche Realität als eine von vielen möglichen anzusehen – um sie so radikal in Frage zu stellen.
Dem stimme ich zu. Marcus sagt damit ja, dass es zu bestimmten Zeiten immer wieder Bewegungen gibt, die aus der gesellschaftlichen Konformität ausbrechen, um festzustellen, dass die verordnete Realität eine Sache ist, es gleichzeitig aber noch andere Welten gibt. Der Nihilismus dieser Bewegungen diente dazu, Außenseitern diesen anderen Raum zu erschaffen. Denn wenn du versuchst, etwas grundsätzlich anderes zu machen, kannst du das Bestehende nicht bejahen. Wichtig ist, eine Grenze zwischen dem Mainstream und dir zu ziehen. Deshalb müssen Querdenker und Andersdenker anfangs sagen: Alles, was ihr macht, ist scheiße. Erst dann kannst du anfangen, deine eigenen Sachen zu machen.

Also war die Geisteshaltung das Radikale an Punk? Bestehendes in Frage zu stellen, um überhaupt sagen zu können: Man kann auch ganz anders leben?
Klar. Musikalisch auf den Punkt gebracht: Ich muss nicht Gitarre spielen können, um eine Platte zu machen. Ich muss nicht Schlagzeug spielen können, um auf der Bühne zu stehen. Ich muss nur ich sein. Und wenn ich etwas will, dann mach ich das. Und wenn die Leute das auch noch gut finden, ist das deren Angelegenheit. Und wenn nicht, mache ich meine Sache trotzdem.

Ein Ansatz, der viel Konsequenz erfordert.
Ein Ansatz, mit dem man ganz viel machen kann. Und er gilt nicht nur in musikalischer Hinsicht, er gilt für dein ganzes Leben.

INTERVIEW: ØLE SCHMIDT

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