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Dolly (Lena Vogt) nutzt ihre erste und einzige Chance zum Sex. Baby im Hintergrund gefällt das nicht
Foto: Uwe Schinkel

Liebe ohne Psychokardiogramm

26. April 2018

Peter Wallgram inszeniert am Theater am Engelsgarten „Mädchen in Not“ – Auftritt 05/18

Mitten hinein in die Megadebatte über Gewalt gegen Frauen, um Alltagssexismus, Übergriffe, Diskriminierung, Machtmissbrauch, ausgerechnet da hinein inszeniert das Theater Wuppertal Anne Leppers groteske „Mädchen in Not“. Eigentlich ein passender Titel, doch das, was die Hauptrolle Baby (Julia Reznik) da von sich gibt, hat für Männer eine fatale Wirkung. Baby will keinen ollen Cowboy mehr, sie will eine futuristische Puppe zum Mann. Ihre Freundin Dolly (Lena Vogt) wäre schon mit altbackenen Rollenspielen zufrieden, doch neben der sexy Freundin im Supergirl-Outfit hat sie natürlich nie eine Chance.

Peter Wallgram inszeniert am Engelsgarten (wie köstlich) diese Posse, die mit Anspielungen auf Popkultur des vergangenen Jahrhunderts (zum Beispiel „Supergirl“ 1962, „Barbarella“ 1968) zeigen will wie lange Frauen schon um ihre sexuelle Freiheit kämpfen müssen und wie fest verankert die Männerfantasien aus demselben Jahrhundert überdauert haben. „Mädchen in Not“ wurde 2016 in Mannheim uraufgeführt, ein Jahr später erhielt es in Mülheim den renommierten Stücke-Dramatikerpreis. Dass es inzwischen auch eine „Gesellschaft der Freunde des Verbrechens“ in den Bundestag geschafft hat, konnte damals ja noch niemand wissen, aber die Homunkuli im Stück – in Wuppertal eine glänzend funktionierende ambitionierte Laienschar – fordern in erster Linie den Wegfall der Differenz, die Gleichmacherei von Gruppen, keine Ausschweifungen jedweder Art. Aus der Angst vor Andersartigkeit entsteht Gewalt und – wie sollte es auch anders sein – im Hintergrund zieht der Puppenspieler die Fäden, womit wir endgültig in der postmodernen Philosophie der japanischen Anime-Götterwelt angekommen sind.

Wallgram inszeniert das genauso mangahaft, harte Schnitte in Choreografie und Sprache, ein Mix aus Musik und Geräusch und grandiose Kostüme (Sandra Linde, die auch fürs futuristische Bühnenbild zeichnet) erfordern oft höggschde Konzentration, aber das sind wir Deutschen ja seit Kindesbeinen gewöhnt. Die Inszenierung verlässt diese Oberfläche gekonnt nie und macht so mit den großartigen Schauspielerinnen an der ultrabösen Lepperschen Front der Weiblichkeit den Abend auch zum intellektuellen Schenkelklopfer (heimlich natürlich), ein bisschen zu Leonce und Lena, aber auch zur Antwort auf Montagsdemos, wo der Kampfruf der Gesellschaft der Freunde des Verbrechens gut widerhallen würde. Aber die ziehen sich ja nun vor lauter Angst immer wieder ins Lacoste-Schloss zurück und scheinen immer wieder überfordert.

Nach dem choreografischen Trampolin-Beginn und dem Outen als Superfood, sorry, -heldin werden die Fronten im Stück schnell ziemlich klar. Baby will in die beziehungslose Wüste der reinen Triebe, Dolly, ungeküsst und zu allem bereit, würde nehmen, was ihr zwischen die Schenkel kommt, selbst die Automaten, wenn sie denn da wären. Trotzdem liegt ihr mehr am Reproduzieren, ein Problem, das Baby nie zu Ende denken wollte. Für sie gibt es erst einmal eine Überdosis Zuwendung: Franz (Konstantin Rickert) und Jack (Martin Petschan) „offizieller“ und „inoffizieller“ Mann, oder war es umgekehrt? Wollen die heterogene Dominanz des stärkeren Geschlechts nicht so einfach für mechanische Konkurrenz aufgeben. Deshalb gibt’s die ganze Palette: Blumen, Pralinen und häusliche Gewalt. Hier durchdringen die Inszenierung ab und an Slapstick-Elemente und eine gewisse 1930er-Jahre-Klub-der-Söhne-Ästhetik. Oberschicht-Baby lässt sich von Duran-Duran (Miko Greza, irgendwie auch so ein bisschen ein Rotwang) die Puppen bauen, in denen allerdings freiwillig Franz und Jack stecken, die so die Gunst der Stunde suchen, aber mehr so als Kopulationsroboter missbraucht werden.

Dolly darf einen mal „ausprobieren“ – und wird schwanger, und weil ihre Freundin konsequent ihrem Wahlspruch „Ich lasse mich nicht mehr zurichten vom Willen anderer“ huldigt, wird Dolly plus Nachwuchs von ihr gemeuchelt und geschickt hinter der Bühne entsorgt. Alles kulminiert in einem letzten Exzess der Gesellschaft der Freunde, die natürlich vom Puppenspieler gelenkt waren und nun die Differenz in Person der Puppen vernichten. Ob da Beethovens „Ode an die Freude“ nicht ein wenig viel Zaunpfahlwinken erzeugte, nun ja. Der Geist in Hülle ist kein Weg in eine postfeministische Zukunft.

„Mädchen in Not“ | R: Peter Wallgram | So 29.4., So 20.5. 16 Uhr, Sa 28.4., Sa 19.5., Fr 25.5. 19.30 Uhr | Theater am Engelsgarten, Wuppertal | www.schauspiel-wuppertal.de

PETER ORTMANN

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