Mit großem Witz erzählt die „Klimatrilogie“ des österreichischen Dramatikers Thomas Köck (geb. 1986) von dem, wobei einem das Lachen vergehen kann: davon, wie der Mensch die Natur und sich selbst ausbeutet, von entsolidarisierten Gesellschaften und der ökologischen Katastrophe. Regisseurin Jenke Nordalm spricht über Humanität und Zuversicht, aktive Bürger und einen Text, der als unspielbar gilt.
engels: Frau Nordalm, wenn am Amazonas ein Opernhaus gebaut werden soll, muss ich unweigerlich an Werner Herzogs Film „Fitzcarraldo“ mit Klaus Kinski denken. Sind noch andere solche Assoziationen in der Klimatrilogie versteckt?
Jenke Nordalm: Es sind ganz viele Assoziationen in der Klimatrilogie versteckt. Das ist das Prinzip des Autors Thomas Köck, dass er für alle Geschichten, die scheinbar zusammenhangslos nebeneinander existieren, immer eine Quelle hat. Das ist dann entweder etwas aus seinem eigenen Erleben, das ihn beschäftigt, Interview- und Recherchematerial oder eine Zeitungsnotiz. Der Film von Werner Herzog hatte ja auch eine Vorlage, diesen Opernbau in Manaus gab es wirklich. Nichts von dem, was Köck behauptet, ist aus der Luft gegriffen oder erfunden und alles ist eingewebt in diesen Textteppich.
Sie sagen Textteppich, ich würde mal sagen Zettelkasten. Es ist ein Rückblick auf die Menschheit?
Das ist nicht nurein Rückblick, das ist eine Auseinandersetzung mit großen Themen der Menschheit. Themen, die ihn eben interessieren – und im Mittelpunkt steht der Mensch, der nicht nur die anderen Menschen ausbeutet, sondern sich auch selber. Und das ist eine große Qualität der Klimatrilogie, dass Thomas Köck einen unglaublich gnädigen Blick hat – bei aller Wut über die Dummheit und mitunter Gier des Menschen. Ich finde es überhaupt nicht defätistisch, es ist mitunter tieftraurig und böse. Aber es ist eigentlich die große, humane Aufgabe hinzuschauen und es vielleicht gemeinsam besser zu machen. Und zum Thema Zettelkasten: Das ist der Eindruck des Erstlesens, wir merken im Laufe der Proben, das sich alles mit allem verwebt und aufeinander bezieht und viele Motive auch sprachlich immer wieder auftauchen. Eine Komposition. Ich begreife die drei Teile als Triptychon.
„Ein unglaublich gnädiger Blick – bei aller Wut über Dummheit und Gier“
Die zeitgenössische Lage sieht etwas schlechter aus als sie es war, als Köck es geschrieben hat. Die Neofaschisten um Trump, Xi Jinping und Putin finden die Kolonialgeschichte doch wieder ganz prima, oder?
Das Stück zeigt Mechanismen und bleibt dadurch aktuell. Wenn man jetzt einen vierten Teil schreiben würde, dann müsste er damit zu tun haben – absolut. Es geht aber auch immer um die Frage des Verstehens und Bewältigen durch Benennen der Missstände. Es sollen ja nicht alle tieftraurig aus dem Theater rausgehen und denken, die Welt sei nicht mehr zu retten. Es geht darum, was es heißt, zu politisch aktiven Menschen zu werden, was es heißt, ein achtsamer und wacher Mensch zu sein, Bürger einer Demokratie. Was für Aufgaben haben wir, was für Pflichten. Wie müssen wir die im Blick behalten. Und ob es Turbokapitalismus oder Turboglobalisierung sind – es sind Prozesse die wir naiv losgetreten haben, ohne, dass sie weitergedacht wurden, und mit deren Konsequenzen wir jetzt leben müssen.
„Es sollen nicht alle tieftraurig aus dem Theater rausgehen“
Wir schwierig war es, dieses Triptychon in einen Theaterabend zu pressen?
Das hat mich und den Dramaturgen Peter Wallgram viele Stunden gekostet, untertrieben gesagt. Das Lesen ist ja schon Arbeit. Mitunter will man es auch in die Ecke pfeffern, aber letztlich hat es großen Spaß gemacht. Köck macht das Angebot, mit seiner „Materialflut“ frei zu arbeiten. Wir haben uns für klare Handlungsstränge und klare chorische Passagen entschieden.
Gibt es einen roten Faden?
Der erste rote Faden ist innerhalb der drei Teile der Kautschukhandel und die Frage, was macht er mit der Autowerkstatt im Schwabenlande. Der zweite rote Faden ist die Selbstoptimierung, die nur die Selbstentfremdung zur Folge hat. Der dritte rote Faden ist der Strom der Waren, der ungehindert fließen kann, im Gegensatz zu allen gestrandeten Arbeitsmigrant:innen unserer Neuzeit.
„Klare Handlungsstränge, klare chorische Passagen“
Ist das Theater am Engelsgarten nicht viel zu klein für die großen Probleme?
Es geht bei Thomas Köck viel um Fantasien und die Freiheit des Geistes. Am Thalia Theater in Hamburg hat Christopher Rüping das Stück mit Containern als Bühnenelementen inszeniert, die mithilfe eines Krans von A nach B verladen werden. Das ist großartig und sowas kriegen wir im Engelsgarten nicht hin. Köcks Textflut erscheint sowieso „unspielbar“. Er ist aber spielbar, es geht um den jeweiligen konzeptionellen Zugriff und da braucht es eine ehrliche und tiefe Auseinandersetzung mit dem, was er einem vor die Nase setzt, dazu Fantasie und ein gutes Ensemble, das alles erfahrbar macht. Für mich ist das ein hochmusikalischer Text, der vor allem über Sprache und performative Spiellust funktioniert. Aber – man könnte die Stücke auch als Puppentheater inszenieren und eine gleiche Wucht erzielen.
Klimatrilogie | Sa 2.9. 19.30 Uhr | Theater am Engelsgarten, Wuppertal | 0202 563 76 66
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