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Anne Mulleners
Foto (Ausschnitt): Konstantin Marsch

„Das Klügste ist, dass man die Polizei gar nicht sieht“

27. Februar 2024

Anne Mulleners inszeniert „Falsch“ am Wuppertaler Theater am Engelsgarten – Premiere 03/24

Im Interview spricht die Regisseurin Anne Mulleners über ihre Interpretation von Lot Vekemans Stück„Falsch“, das die Existenz einer allgemeingültigen Wahrheit infrage stellt. Darin stehen zwei Schwestern unter Verdacht, für einen tödlichen Verkehrsunfall mit Fahrerflucht verantwortlich zu sein.

engels: Frau Mulleners, in Zeiten von Künstlicher Intelligenz stellt sich die Frage nach dem Wesen von Realität neu. Das hat Lot Vekemans sicher nicht zu ihrem Stück „Falsch“ inspiriert, oder?

Anne Mulleners:
Das ist interessant, dass Sie danach fragen. Über Künstliche Intelligenz habe ich in diesem Zusammenhang noch gar nicht nachgedacht. Ich habe viel über Theater als eine Form der Wahrheitsdarstellung nachgedacht, die ja nicht viel mit „wirklicher Wahrheit“ zu tun hat, auch wenn man an Stanislawski denkt, der lehrte, dass man einem Schauspieler, einer Schauspielerin wirklich glauben muss, was sie da spielen und behaupten. Es geht im Stück in gewisser Weise um eine Wahrheitsfindung und ich glaube, dass die Inspiration von Lot Vekemans in witziger Weise auch von Krimiserien kommt. Oft gibt es dort am Schluss einen Rückblick, wo wir sehen, was wirklich passiert ist. Im wirklichen Leben gibt es das nicht. Die Polizei hat selten das Erlebnis, wo sie schließlich 100 Prozent in einem Video sieht, was geschehen ist. Das macht etwas mit einem Publikum, dass wir am Ende die Erwartungshaltung haben, dass wir am Ende genau wissen, wie es gewesen ist.

Die Handlung reduziert sich auf eine Gefängniszelle. Warum sitzen die Personen denn eigentlich da?

Erstmal sind sie da, um wegen eines tödlichen Verkehrsunfalls befragt zu werden. Das Klügste an diesem Stück ist, dass man die Polizei gar nicht sieht. Das ist eine Behauptung, aber die wird nie bestätigt. Ge erzählt uns, dass er festgehalten und befragt wird, aber wir wissen das nur von ihm. Uns wird von diesen Personen eine Geschichte erzählt, aber wir haben als Publikum nie die Bestätigung, dass das auch die Wahrheit ist. Daher könnte man ja behaupten, dass Ge selbst Polizist ist und nur behauptet, er sei Zeuge, um die anderen beiden Sis und Kat gegeneinander auszuspielen.

Der Begriff „falsch“ hat immer etwas mit der Perspektive zu tun, aus der man die Fakten betrachtet. Gibt das Stück da eine Lösung?

Eigentlich nicht. Es spielt mit den unterschiedlichen Perspektiven der Figuren. Aber auch mit den Außenperspektiven von uns als Publikum. Ich finde, dass das Stück am Ende ziemlich konkret wird, oder man hat schon das Gefühl, zu wissen, was passiert ist. Aber zu 100 Prozent wird das nicht bestätigt, also gibt es keine Lösung am Ende.

Der Begriff „falsch“ ist nicht ganz einfach zu fassen. Ein falsches Werkzeug ist ein falsches Werkzeug, unabhängig vom Kontext.

Das ist interessant, ich kenne die Interpretation auf Deutsch. Aber ich bin Niederländerin und das Stück ist im Original auf Niederländisch. Das Wort „vals“ hat nicht die ganz gleiche Bedeutung wie das deutsche „falsch“. Im Niederländischen benutzt man das oft, um Tiere oder auch Menschen zu beschreiben, die gemein sind. Insofern gibt es viele Interpretationsformen, wie man den Titel in Bezug auf das Stück lesen kann – auf Niederländisch und auf Deutsch.

Hat denn Ihre Inszenierung in Wuppertal ein geschlossenes Ende?

Nein, es geht eher in die andere Richtung.

Wo liegen die Fallstricke in der Inszenierung eines so intellektuellen Textes?

Gute Frage. Ich bin sehr bei der Zusammenarbeit mit den Schauspielern daran interessiert, gemeinsam herauszufinden, was für eine Spielweise wir benutzen werden und wie wir mit diesen Dialogen umgehen und diesem Wahrheitsbegriff. Werden wir uns auf eine Wahrheit einigen oder wird jeder seine eigene Wahrheit haben – und wir spielen die gegeneinander aus? Das letzte finde ich interessanter, aber das birgt auch Schwierigkeiten, weil Schauspieler oft einen Bogen schaffen wollen. Aber das wird sicher ein interessanter Prozess.

Das Theater am Engelsgarten ist nicht groß, andererseits ist ohnehin wenig Platz für Choreografie in einer Gefängniszelle, oder?

Wir haben ein Bühnenbild, was durchaus flexibel genutzt werden kann. Wir bleiben auch nicht nur in der Gefängniszelle. Es wird auf jeden Fall mehr Bewegung geben als wie man im Vorhinein denkt.

Der Text erinnert zwangsläufig an Sartres „Geschlossene Gesellschaft“. Sitzt die Hölle bei Lot Vekemans „Falsch“ eher in den Psychen der Beteiligten?

Ich glaube, dass Lot Vekemans im Vergleich zu Sartre nicht so zynisch ist. Man könnte die Gefängniszelle als Bubbles in unserer Gesellschaft sehen, die aufeinandertreffen, da sie aus sehr unterschiedlichen Teilen der Bevölkerung kommen, und wenn das aufeinanderprallt – kleiner Spoiler – es ja auch zu Gewalt kommt. Da zeigt Vekemans schon, dass da irgendetwas unter der Oberfläche liegt, aber was ich so schön finde, ist, dass sie das nicht definiert. Das bleibt dort. Aber man kann das auf unterschiedliche Arten lesen, und ich finde das Ende hoffnungsvoll. Es zeigt, wenn man gezwungen ist, sich in einer kleinen Zelle auf längere Zeit auseinandersetzen zu müssen, dass das auch dazu führen kann, dass man sich mehr versteht.

Falsch | 6. (P), 7., 12., 14., 20.4., 3., 4., 10.5. | Theater am Engelsgarten | 0202 563 76 66

Interview: Peter Ortmann

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