„Ich habe nun mal das Image, und das werde ich auch in diesem Leben nicht mehr los, ein lauter und aggressiver Spieler zu sein. Das stimmt ja auch zum Teil. Und ich liebe es wirklich, wenn es klingt und brummt und vibriert. Dies ist allerdings nur eine Facette der ganzen Geschichte: Selbst dann, wenn man sich meine frühen Aufnahmen anhört, wird man feststellen, dass man da auch durchaus andere Seiten finden kann." Ein Individualist war Peter Brötzmann schon immer und der äußere Eindruck konnte bei ihm häufig täuschen. Ein bisschen sinister und gefährlich wirkt er mit dem Bart und seinem geraden Blick. Wortkarg ist er, denn er macht lieber Musik – neunjährig begann er Klarinette zu spielen – als über sie zu sprechen. Die ihn kennen, beschreiben ihn als sensiblen Menschen, der die Freiheit liebt und von Konventionen wenig hält. In dieser Haltung ist der Mann, der gerne als „Vater des deutschen Free-Jazz“ bezeichnet wird und am 6. März seinen 70. Geburtstag feierte, sich treu geblieben.
Das Experiment als Elixier
1941 in Remscheid geboren, verbrachte er eine typische Nachkriegsjugend auf dem Hasten. „Wir hatten Streetgangs und haben geklaut wie die Raben", erinnerte er sich in einem Gespräch. Eine herrlich freie Zeit sei das gewesen, ohne Einmischung der Erwachsenen – „die hatten zu der Zeit ja andere Sorgen". Die Schulzeit auf dem Gymnasium an der Hindenburgstraße „habe ich gehasst wie die Pest". Sobald als möglich zog er nach Wuppertal, mit 17 startete er an der Werkkunstschule ein vierjähriges Kunststudium. Nebenher arbeitete er als Grafiker, spielte in verschiedenen Bands Klarinette oder Tenorsaxophon und entdeckte Anfang der 60er Jahre den freien Jazz. Zusammen mit Peter Kowald und Dieter Rauschtenberger gründete er 1961 ein Trio. Spätestens seit diesem Zeitpunkt gilt Peter Brötzmann als Seismograph für Stimmungen und Tendenzen in diesem speziellen Musikgenre. Der Name ist ein Synonym für Free Jazz. Peter Brötzmann steht für eine Musik, die alte Formen bevorzugt, neu interpretiert und Zwänge kategorisch ablehnt. Es „brötzt“, das ist seiner signifikanten, als besonders energetisch beschriebenen Spielweise geschuldet. Peter Brötzmann hat eben seine eigene Art, Saxophon und Klarinette zu bedienen.
Musik ist sein Leben, angefangen von den Trios mit Fred van Hove, Han Bennink, Harry Miller und Luis Moholo bis hin zur legendären Last Exit-Formation mit Sonny Sharrock, Shannon Jackson und Bill Laswell – seit gut 45 Jahren ist der Mann, der Noten weder aufschreibt noch liest, weltweit unterwegs. Dabei schöpft er nie aus einem Nostalgie-Reservoir, sondern experimentiert. Zweifel hat er immer, bei jedem Projekt, bekennt der Von-der-Heydt-Preisträger. Überwiegend arbeitet er mit jüngeren Musikern zusammen: „Die fordern psychisch wie physisch". Mag sein, der freie Jazz mit seinen oft sonderbaren und absurd anmutenden Ideen ist keine Musik für Jedermann oder ein witziges Lifestyle-Zitat. Wenn überhaupt, dann ist es eine soziale Referenz. Musik als Aufbegehren – eine, die alle Töne dieser Welt ausprobiert und die mit ungeschönten Tönen zeigt, wie die Welt ist.
Kraftvoll und konsequent
Als Maler, sagte er einmal, habe er gelernt, die Freiheit des persönlichen Ausdrucks zu gebrauchen. Konventionelle Schemata waren da, um sie wegzufegen. In der Galerie Epikur zeigt HansPeter Nacke jetzt in einer Einzelausstellung Bilder Peter Brötzmanns. Ein bisschen herb und düster wirken die Arbeiten, die gradlinige Titel wie „Landschaft“, „Industrielandschaft“ oder „Blechbild“ heißen (und in ihrer Sperrigkeit ähnlich schön wie die Musik sind mit Stück- und Plattentiteln à la „Ein halber Hund kann nicht pinkeln", „Wolke in Hosen" oder „3 points and a mountain"). Offensichtlich ist der Schaffensprozess eher intuitiver Natur und stark vom persönlichen Erleben geprägt. Langsam und bedächtig reift diese Kunst, bevorzugt in der kontemplativen Stille des Ateliers, das in einem Hinterhof der Luisenstraße liegt. Dem Vernehmen nach sammelt Peter Brötzmann sich hier sowie Fundstücke als Sammelsurium verschiedenster Materialien und fotografierter Eindrücke. Metaphorisch aufgeladene Bildwelten kreiert er und bedient sich dabei einer individuellen Formensprache. So wie er „brötzt“, scheint er auch die Leinwand überaus dynamisch zu bestücken. Schwungvoll wirkt die dick aufgetragene Farbschicht, fett die wie zufällig angepappt wirkenden, aber doch mit Bedacht gewählten Textilreste oder der Zivilisationsmüll. Wie in seiner Musik lässt sich Peter Brötzmann nicht glätten oder verbiegen, seine Darstellungen sind kein funkelnder Ponyhof in zartrosé, es herrschen Nuancen in erdigem Braun oder grau-schwarzem Dunkel vor. Auch das grafische Vermögen zeigt sich, sein Hang zum Expressionismus und die Lust am Entdecken. Was für die Musik gilt, diese mäandernd wirkende, zielstrebige Vorgehensweise neue Areale zu erkunden, spiegelt sich in der bildnerischen Kunst.
Wie wild, wie neu oder sich selbst zitierend der unverwüstlich scheinende Haudegen tatsächlich ist, lässt sich anlässlich eines Musikfestivals erkunden. Vom 21. bis 23. April tönt, schallt und klingt es aus dem Café Ada, in dem Peter Brötzmann und andere Jazzer spielen werden. Welchen Einfluss dieses unangepasste Spiel und die bewusste Hinwegsetzung über konventionelle Schranken auf das echte, wahre Leben hatte und hat, diskutierten der Jubilar, Anne Linsel, Jost Gebers und andere bereits am 14. April in einer Gesprächsrunde in der Alten Schmiede Knipex-Werk.
Peter Brötzmann & Chicago Tentet – Jubilee
Do 21.4. – Sa 23.4.
Café ADA
0202 45 27 15
Peter Brötzmann, Werke 1959-2010
Ab dem 8.4.
Galerie Epikur
0202 426 52 62
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