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Zwischen den Stacheln

26. April 2010

Das WDR-Sinfonieorchester erhielt besonderen Besuch - Musik 04/10

Erst zuckten einige Knie der Musiker im dicht gestaffelten Orchester nach oben, wie bei einem Reflextest mit dem Hämmerchen – es gab nur kein Hämmerchen. In wilden Haken zog sich dieses Phänomen ungeordnet durch die Sitzordnung, dann sahen die Zuschauer in den ersten Reihen in der Philharmonie den Grund für die plötzlichen Konvulsionen: Ein kleines Mäuschen huschte zwischen den Stacheln der Violoncelli, den blitzenden Lackschuhen der Spieler und unter den Rocksäumen der Musikerinnen hindurch. Das „Lied der Nacht“, Mahlers groß besetzte und endlos sich windende Siebte Sinfonie, lag auf den Pulten des WDR-Sinfonieorchesters. Gerade imitierten die Streicher ein Mandolinentremolo, ein musikalisches Erzittern der Espen, da trat dieser winzige David gegen den Giganten unter den Klangmalern an, um das Werk zu erschüttern. Aber Vorsicht: Wir wollen aus dieser Maus keinen Elefanten machen. Wer weiß, wie merkwürdig verschiedene Zeitgenossen – selbst Elefanten gehen manchmal auf die Barrikaden – auf einen Besuch solcher Nager reagieren, der kann den WDR-Akteuren nur gratulieren. Das war mutig, alle blieben am Ball bzw. in der Stimme. Nun wäre eine Maus auf der Konzertbühne nicht so spektakulär, wenn da nicht ein anderer Umstand hinzuträte: Auf dem Dirigentenpodest arbeitete an diesem Abend eine Maestra. Das gibt dann doch zu denken. Einlagen mit Mäusen sind denkbar selten im Konzert. Fast so selten sind auf höchster Qualitätsebene Dirigate von Musikerinnen. Pauken, Posaunen und Hörner werden längst von Damen betrieben, nur der Magierposten mit Stab bleibt weitgehend Männerdomäne. Marin Alsop ist seit der Saison 2007/08 die erste Frau, die als Music Director eines der großen amerikanischen Orchester, das Baltimore Symphony Orchestra, leitet. Und 2009 wurde die gebürtige New Yorkerin zum „Conductor of the year“ gewählt – der Dirigent des Jahres ist eine Frau. Das mag so manch konservativem Musiktreibenden stinken. Deshalb dieser haarsträubende Gedanke: Vielleicht kam die musikliebende Maus gar nicht aus den philharmonischen Tiefen zu Mahler, auch nicht aus den frisch gebohrten Tunnelröhren der nun angrenzenden U-Bahn, wie mancher mutmaßte, sondern die Maus war entsandt. Ein Attentat also auf die Contenance der Dirigentin, ein Akt der Sabotage, den grauen Schocker hinterlistig in einer Tasche eingeschmuggelt und dann zum Tremolo freigesetzt: eine satanische Tat, unvorstellbar. Frau Alsop sah die Maus auf ihr Podest zuschlingern, und es war ein Schreck in der Abendstunde. Ein kurzer irritierter Griff im Zaudern an das rückwärtige Geländer, der Dirigentenstab sank für einen Moment nach unten – dann nahm die Musikerin mit einem Lächeln beherzt wieder Fahrt auf. So mancher männliche Kollege wäre da vielleicht mehr aus Haut und Musik gefahren. Bravo, Marin Alsop, ob Zufallsgast oder Sendung, die Maus zog relativ wirkungsarm vorbei und entschwand unerkannt. Es wird sich nunmehr herumsprechen, dass in Köln nur maussichere Dirigenten gastieren sollten. Vielleicht sollten – wie bei der für Skater gesperrten und von einer Ordner- Mannschaft bewachten Deckenoberfläche der Philharmonie – Katzen engagiert werden, die das Rund während der Konzerte mausfrei halten. Aber vielleicht warten wir erst auf die zweite Maus – oder auf den Wiederholungstäter.

Weitere Infos: www.wdr-orchester.de

Olaf Weiden

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