Immer wenn Isa auf irgendeiner Bühne in irgendeinem Theater vor das Publikum tritt, rennt, kriecht, stolpert, dann ist Tschicks Satz da aus Wolfgang Herrndorfs Roadmovie im ollen Lada: „Tolle Figur, aber voll asi.“ Und – als sollte es anders sein – auch im Theater am Engelsgarten funktioniert er, wenn Lena Vogt gekonnt voll asi aus dem Abstellraum in das Rund aus drei milchigen Folienrahmen hinter ein paar Standardstellagen wütet. Noch ein paar Flüche und derbe Sätze in das schlecht gesicherte Heim hinter der Tür, dann ist das junge Mädchen draußen, in der Welt, allein, das Licht zuckt, ein Mann (Alexander Peiler) sitzt da, regungslos, teilnahmslos, aber gehört dazu. „Bilder deiner großen Liebe“, der Text, das Fragmentarische, alles das hatte es wie Isa nicht leicht, das unverfälschte Licht der Welt zu erreichen. Schnell steht das verdammte gelbe Zelt von Aldi, Aufbewahrungs- und Zufluchtsort zugleich, aber auch optischer Markierungspunkt in Barbara Büchmanns Inszenierung, denn über allem, jedem Wort, jeder Bewegung schwebt der allwissende Geist dieser jungen Vagabundin um die Endlichkeit. Lena Vogt kann diese Bürde ertragen. Unprätentiös, ohne Pathos lässt sie Isa eintreten auf den parabolischen Weg durch eine Welt, die wie ihr Schöpfer langsam zu verschwinden scheint.
Da wird gegessen vor dem Zelt, da wird auch rumgesaut, da werden die ersten Anekdoten ins Geschehen geworfen. Der Mann da scheint kein Gegner und doch hält er ab und zu bestimmend die Balance zur Realität, ist mal der Kapitän oder Bankräuber und erzählt die spannende Geschichte von Geld am Bahndamm, sie darauf ihre von Fremden beobachtete Katzenwäsche nackt unterm Rasensprinkler. Büchmann lässt die Fragmente ruhig laufen, immer wieder werden kleine Breaks in den Spiel- und Erzählfluss eingebaut, etwas Glitzer von oben, Marmelade als Pfütze oder Blutersatz. Staubsaugen als Meditation, das andauernd flackernde Licht, Auf- und Abgang durch die Kunststofffolien. Lena Vogt tänzelt durch den Textfluss. Die Zivilisation ist aufgehoben, Isas poetische Geschichten und Begegnungen werden skurriler und liebevoll unglaubwürdiger. Sie trifft den Schriftsteller, stiehlt dort Sachen, flüchtet aus dem Haus, als sie die alte abgemagert Frau entdeckt, die sie für ihre Tochter hält. Sie findet im Wald den toten Hirsch nebst seinem toten Jäger, dem sie Geld und eine Heckler & Koch-Pistole entwendet. Und dann trifft sie natürlich auch die beiden Jungs Maik und Tschick an der Müllhalde, denn „Bilder deiner großen Liebe“ spielt vor und nach dieser schicksalhaften Begegnung – die ja in genau 50 Jahren wiederholt werden soll – in Wuppertal natürlich spektakulär unterm Sternenhimmel.
Und schon ist sie wieder unterwegs, über Stock und Stein und Folienwand. Die Inszenierung komprimiert das sehr schön auf 80 Minuten, unglaublich wie weit man in dieser Zeit zu Fuß durch Mutter Natur kommt. Isa bewegt sich nun auf der konzentrischen Bahn zurück, das Gras als Rollrasen immer dabei. Aber es geht auf den Abgrund zu. Und dann wird sie da stehen, allein, die Zehen etwas über der steil abfallenden Wand. Unten probieren die Menschen-Ameisen das Leben. Und der Abgrund zerrt an ihr. Ein starkes Bild, das stärkste überhaupt. Isa schießt in die Luft, die Kugel strebt dem Himmel entgegen, hält inne und kehrt präzise zurück in den Lauf. Ja. Isa ist stärker. Was für ein Stück Literatur – immer wieder.
„Bilder deiner großen Liebe“ | R: Barbara Büchmann | So 5.1. 18 Uhr, Sa 15.2. 19.30 Uhr | Theater am Engelsgarten, Wuppertal | 0202 563 76 66
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