Maik Priebe inszeniert am Schauspiel Wuppertal Molières „Tartuffe“. Warum? Nobody knows, but Jesus. Dem Christentum ist nicht alles heilig oder die Dummen fallen auf die Betrüger rein. Alles das wäre Eulen nach Athen tragen oder Bauer sucht Frau, oder sucht der einfach nur die dicksten Kartoffeln? Man weiß es nicht. Was man weiß, und das ist die Crux an diesem Abend und konterkariert dazu die gut gemeinten, aber zaghaften Standing Ovations im Wuppertaler Opernhaus: Bei Molière rettet die Obrigkeit die Dummen, noch schlimmer, die adligen Schmarotzer retten das reich gewordene Bürgertum vor dem Bankrott. Hallo. Wir wollen diese Konsequenz doch sicher nicht mit dem Wuppertaler Kulturleben und seinem beispielhaften Abstieg assoziieren.
Priebe schlägt sich bei seiner ersten Arbeit in Wuppertal tapfer. Ein echter Chor begleitet die Inszenierung, intoniert in Zwischenszenen reichlich Jean Philippe Rameau, Jean Baptiste Lullys „Divertisment final“ und Claude Goudimels „Psalm 22“, auch mal Jens Bingert am Cembalo, fast der einzigen Requisite auf der kahlen, aber schicken Bühne. Die Kostümabteilung (Susanne Maier Staufen) war auch dafür verantwortlich, hat aber wohl das Stoff- und Perückenrauschen dem Bühnenbau vorgezogen. So fand man sich in einer barocken Welt fast ohne Möbel, aber mit dem Dauerbombardement des Zwölffinger-Alexandriners wieder, Puderquaste und Rüschenterror – kein Wunder, dass Thomas Braus als Schwager Cléante immer mal wieder die Perücke lüftete, einmal um wichtige Botschaften zu untermalen, sicher aber auch für etwas Luft zur Kühlung. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Ein Schelm ist die Hauptfigur in der Molière-„Komödie“ sicher nicht. Und er ist nicht einmal clever. Tartuffe, ein Manipulator (Miko Greza), einer der die reichen Dummen bestiehlt, um die dummen Armen zu vergessen, hat in Orgon (ich kann bestätigen, dass Wilhelm Reich (1897–1957) nichts mit dieser Molièreschen Namensfindung zu tun hat – oder doch?) das ideale Opfer gefunden. Dessen Mutter (Anke Hartwig) spielt ihm geschickt in die Karten, hat sie doch Elmire, seine zweite Frau (Philippine Pachl), als unsittsame Feindin erkoren. Nun ja. Enkelin Mariane (Julia Resnik) ist auch nicht ganz helle und Enkel Damis (Alexander Peiler) eher cholerisch. Kein Wunder, dass die alte Frau sich an Religion und Verzicht klammert.
Schnell haben alle Hausbewohner die Umtriebigkeit des Tartuffe erkannt, doch Ressentiments, Dünkel des 17. Jahrhunderts und falsch verstandener Gehorsam machen seine Entlarvung schwierig. Das Programmheft zitiert den ollen politischen Komödianten: „Ich verachte die kleinlichen Seelen, die, weil sie die Wirkungen der Dinge zu weit voraussehen, nichts zu unternehmen wagen.“ Dies wird universelle Gültigkeit behalten, bis der Planet irgendwann abgestorben ist. Keine Gültigkeit sollte die Konsequenz aus dieser Haltung bleiben, da ist kein Gott und schon längst kein König, der uns rettet. Da hätte ich mir von der Regie ein anderes Ende gewünscht, als nur der depperte Goldflitter auf dem Körper des Kommissars (Bernd Kuschmann) vor dem tosenden Applaus der Silberhaarfraktion. Ansonsten gab es an Regie und Dramaturgie nichts zu meckern, zwei Stunden, eine Pause sind auch locker auszuhalten, Priebe frönt dem Slapstick, der in der deutschen Fassung von Wolfgang Wiens wohnt, allein Dorine, Zofe der Hausherrin (Tinka Fürst), rockt den Saal, wenn sie Orgon (Stefan Walz) beim Verse dreschen fast zur Weißglut überquatscht, oder Valère mit seiner Zukünftigen streitet, weil der gottgleiche Hausherr die Tochter dem Demagogen versprochen hat, obwohl der eher auf dessen Gattin steht.
Und genau das bringt ihn zu Fall. In der aufgestellten Falle kann er sich nur noch durch Offenheit wehren, Haus und Hof sind ihm längst übertragen, das Vermögen sowieso. Tja. Der Klerus ist eine vertrackte Meute, kein Wunder das Molière Jahre brauchte und viele Streichungen, bis er den „Tartuffe“ auf den Bühnen des Sonnengottes in Frankreich hatte. Die Geschichte ist oft kopiert worden, selbst Hollywood und das Ohnsorgtheater haben sich bedient. An der Gefahr, die von den bösartigen Manipulatoren oder heute auch Manipulatorinnen ausgeht, hat sich aber nichts geändert.
„Tartuffe“ | R: Maik Priebe | Fr 20.5., Sa 21.5., Di 14.6. 19.30 Uhr | Opernhaus Wuppertal | 0202 563 76 66
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