Ausstellungen zum Selbstporträt sind selten. Denn so viele derartige Bildnisse gibt es ja gar nicht, und dann werfen sie in ihrer Verschiedenheit ein Bündel an Fragen, Überlegungen und Ansätzen auf. Bei diesen Werken ist der Künstler alleine oder mit anderen zu sehen, in der Ausübung seiner Tätigkeit oder in gesellschaftlichen Zusammenhängen oder ganz auf sich konzentriert. Im Gegensatz zum Auftragsporträt entscheidet ausschließlich der Künstler, was er mitteilen möchte und wie er sich folglich darstellen möchte, ob es ihm gefällt oder nicht. Das Selbstporträt vermittelt Statusbehauptung und Selbstbewusstsein, auch in eigenen Krisenzeiten. Der Künstler versteht sich als herausgehobene Persönlichkeit – und oft stellt das Selbstporträt einen besonderen, verdichteten Höhepunkt in seinem Werk dar. Kurzum, man kann die künstlerischen Beiträge dieser persönlichsten künstlerischen Gattung aus der Zeitgeschichte heraus begreifen oder sie etwa malerisch oder psychologisch untersuchen und verorten. Dazu sind Selbstporträts meist schonungslos und ungeschönt. Sie intensivieren die Wahrnehmung des Gesichts und des Körpers, mit dem Ziel, hinter jede Oberfläche zu dringen. Wichtig ist oft die Kenntnis von der Lebenssituation, in der sich der Künstler da befand.
All das spricht nun die Ausstellung an, die das Von der Heydt-Museum ganz aus seinem eigenen Besitz zusammengestellt hat. Sie umfasst – locker präsentiert – rund vierzig Kunstwerke: Gemälde, Papierarbeiten, Skulpturen und eine fotografische Sequenz, in welcher der abstrakt-informelle Maler Wols (1913-51) seine Mimik spielen lässt. Die zeitgenössische Kunst aber ist in der Ausstellung deutlich in der Unterzahl; tatsächlich spielen Porträt und Selbstporträt seit langem schon keine so große Rolle mehr. Und während ein zeitgenössischer Maler wie der aus Wuppertal stammende Peter Schmersal ausschließlich sein Gesicht, und das auch nur im Ausschnitt zeigt, – wobei er sein eigenes Sehen und Wahrnehmen thematisiert – stellen sich die früheren Generationen mit ihren Darstellungen meist in künstlerische oder gesellschaftliche Kontexte. Auf den Werken des 19. und frühen 20. Jahrhunderts liegt nun auch der Schwerpunkt der Ausstellung, entsprechend zur grandiosen Sammlung des Von der Heydt-Museum. Deren hoher Rang blitzt bereits bei diesen wenigen Arbeiten auf.
In unsicheren politischen Zeiten
Vertreten sind Künstler wie der „Brücke“-Maler Otto Mueller mit seinem „Selbstbildnis mit Pentagramm“ (1922) als still konzentrierter Bohème in einer mystischen, von Geheimnis umwehten, dabei nicht weiter bestimmten Umgebung, und Oskar Kokoschka mit seinem expressiven Selbstbildnis (1917), welches sich vor einem blauen Fond direkt dem Betrachter zeigt und psychische Labilität signalisiert. Ganz anders dagegen Otto Dix im Vordergrund des Gemäldes „An die Schönheit“ (1922), kontrolliert im Blick und in der Haltung, fast lauernd und mit wenig Interesse an der Tanzszene dahinter. Im Anzug und mit dem Telefonhörer definiert er sich hier nicht als Maler im Atelier, sondern als aufmerksamer Berichterstatter in unsicheren politischen Zeiten, mit Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft.
Natürlich ist Hans von Marées dabei, der 1837 in Elberfeld geborene Maler aus dem Kreis der Deutschrömer, der 2008 mit einer Einzelausstellung im Von der Heydt-Museum gewürdigt wurde. Ausgestellt ist jetzt die Öl-Skizze zum „Pergola“-Fresko in der Stazione Zoologica in Neapel (1873), in der er sich sitzend am Tisch gemalt hat: den Kopf auf die linke Hand gestützt und ruhig zum Betrachter schauend – so hat er sich in allen seinen Selbstbildnissen gezeigt.
Sein berühmtes Selbstbildnis mit Hildebrand und Grant (1873), das die gleiche Tischgruppe zeigt, ist freilich zunächst noch in der hauseigenen Schatzhaus-Ausstellung zu sehen. Nach auswärts aber entliehen ist derzeit Max Beckmanns Selbstbildnis (1915) – denn die Bilder des Von der Heydt-Museums gehen auf Reisen, als Leihgaben zu externen Ausstellungen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass das Wuppertaler Museum seinerseits demnächst für seine Alfred Sisley-Ausstellung Gemälde anderer Museen erhält. Aber erst anhand dieser feinen und tiefschürfenden Schau der Selbstporträts wird deutlich, wie außerordentlich die Dimensionen und Facetten der eigenen Sammlung sind.
„Ich!“ ─ Künstlerporträts in der Sammlung des Von der Heydt-Museum I Bis 3.4. 2012 I Von der Heydt-Museum I 0202 563 62 31
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