Die faszinierende Welt der Objekte von Erinna König ist zurzeit im Ausstellungstrakt in der ersten Museumsetage zu sehen. Die Düsseldorferin, die im Herbst 2021 mit 74 Jahren starb, gehört zu den Künstlerinnen, die erst im Rentenalter Bekanntheit erlangten. Nach ihrer großen Einzelausstellung 2020 in Neuss blieb ihr nur wenig Zeit, die wachsende Anerkennung zu genießen. Die noch mit ihr verabredete Retrospektive in Wuppertal würdigt ihr Schaffen nun mit rund 50 Arbeiten aus 50 Jahren.
Der „Sternenrock“ (1969) und ein titelloses Ensemble aus Standspiegel mit Kinderstuhl entstammen der Zeit, als König u.a. bei Joseph Beuys an der Düsseldorfer Kunstakademie studierte. Posthum nach Entwürfen der Künstlerin gefertigt wurde dagegen die „Maske“ aus gebogenen, übereinandergesetzten Aluminiumblechen mit Einschnitten für Augen und Mund – ein 2 m hohes, silbriges Wandrelief, auf das im ersten Ausstellungsraum sofort der Blick fällt. Als eine Art Stellvertreterin der Abwesenden verkörpert sie Erinna Königs Arbeitsprinzip: Die Künstlerin funktionierte gefundene Objekte aller Art um und verwandelte sie durch subtile, einfachste Eingriffe in etwas anderes, nie Gesehenes. Zwei, drei Dinge oder Materialien, die teils jahrelang im Atelier auf ihre Bestimmung warteten, hat die Künstlerin jeweils kombiniert und farblich überarbeitet. So entstanden Skulpturen und Wandstücke, die verbal nicht recht zu fassen sind, auch wenn sich bei schnellem Blick rasch Begriffe einstellen: Maske, Kopf, Säule, Fenster, Treppe, Blume, Schlange, Möbel … Doch so einfach ist es nicht, ein unergründlicher „Rest“ bleibt. Ausstellungsbesucher wandeln durch ein ziemlich heterogenes Panoptikum von poesievollen Gebilden, die sonderbar schräg in der Welt stehen. Wie Königs gekippte Scheinsäule (2019), deren Kapitell sich wieder hochbiegt und einen waagerechten Abschluss bildet.
Eine weiße Gardine, locker um eine perforierte Edelstahlplatte gehängt, macht diese zum Fenster mit Blick in den nächtlichen Sternenhimmel („Nacht“, 2020). Zwei winzige schwarze Punkte auf einem sonnengelben Wandstück mit gezacktem Rand markieren (vielleicht) ein Gesicht, desgleichen die hochformatigen Gebilde mit angedeuteten Ohren, Hörnern, Mündern nebenan. Aber man kann nicht sicher sein, ob diese Werke in anderer Umgebung nicht völlig andere Assoziationen wecken. Das Rudel kleiner Beistelltischchen z.B.: Stellt es sich dem einzelnen größeren entgegen oder wartet es auf ihn? Humorige Titel schließen noch weitere Sinnebenen auf. Ein aufgeschnittener Gummireifen im Goldrahmen wird zur offenen „Blume“ (1986) mit Durchblick auf die nackte Wand. In der „Insel“-Serie brechen die Leinwände aus ihren Rahmen aus und scheinen wegzuschwimmen.
Je länger man sich durch die Räume bewegt, umsoamüsanter wird es. Was liebenswert wie selbstgemachtes Kinderspielzeug daherkommt, ist sorgfältig ausgewählt und bearbeitet mit präzisem Blick sowie einer Gestaltungsidee, die Erinna König niemals offenlegte. Am Ende des Parcours schließt sich der Kreis mit einem letzten, fast geisterhaften „Maskenbild“ – eine Art gespiegelte Totenmaske, gemalt in lebensfrohem, leuchtendem Pink.
Erinna König – Retrospektive | bis 25.2. | Von der Heydt-Museum, Wuppertal | 0202 563 62 31
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