Nach Anthony Caro gratuliert der Skulpturenpark 2024 einem weiteren britischen Künstler zum 100. Geburtstag: Eduardo Paolozzi, geboren in Edinburgh, gestorben 2005 in London, zu Lebzeiten international schwer aktiv. „Im wahrsten Sinne des Wortes ein kreatives ‚Powerhouse‘, ein Kraftwerk künstlerischer Produktivität“, beschreibt der Leiter des Skulpturenparks, Tony Cragg, den Pionier der europäischen Pop Art. Doch trotz mehrfacher Documenta- und Biennale-Teilnahmen, Ausstellungen weltweit und Skulpturen im Außenraum, Lehrtätigkeiten an Akademien in London, Hamburg, Köln und München und Ritterschlag der Queen hat Sir Eduardo Paolozzi nie den Bekanntheitsgrad vieler Künstlerkollegen der Nachkriegsära erreicht. Möglicherweise stand ihm gerade seine Vielseitigkeit, technische Experimentierlust und sein großer Schaffensdrang im Weg? Sein Output ist zu unterschiedlich, nicht leicht wiedererkennbar. Tony Cragg und Dr. Jon Wood konzentrieren sich in der Jubiläumsschau mit Leihgaben der Paolozzi Foundation, London, auf drei Werkgruppen in zwei Ausstellungshallen: Großskulpturen der 1960er/70er Jahre, Pop-Art-Grafik und Gipsköpfe.
Im zentralen Glaspavillon präsentieren sie anhand von neun Großskulpturen den Bildhauer Paolozzi – als Schöpfer von surrealen Kreuzungen aus Lebewesen und Maschinen. Seine Werke sind sowohl abstrakt-geometrisch als auch figürlich, mit technoiden Details. Die früheste Arbeit im Raum ist ein bronzener „St. Sebastian“ von 1957. Den Märtyrer zeigt Paolozzi groß und standhaft auf zwei Röhrenbeinen. Zwar nicht von Pfeilen durchbohrt, aber reichlich löchrig und derb bearbeitet, voller Abdrücke von Maschinenteilen. Von ähnlicher Art ist ein entzückender Vierbeiner: „The Frog Turning into a House“, 1961, ein Bronzegeschöpf aus rundem Rumpf mit platter Schauseite, die entfernt an eine Hausfassade oder Schalttafel erinnert. Spätere Aluminiumskulpturen fertigte er aus kantigen, spiegelnden Modulen, Kuben und Röhren im Brutalismus-Stil, oft kombiniert mit kleinteiligen Binnenformen, Löchern, Zahnrädern, Metallteilen. Von vorn ein symmetrischer Klotz, die Rückseite biomorph und figurativ mit Armen, Beinen, Büsten und Röhrententakeln. Vordergründig klar, aber in der Bearbeitung und Zusammenstellung radikal respektlos. Nicht schön im herkömmlichen Sinne.
Das gilt auch für die Gipsköpfe auf Tischen in der unteren Ausstellungshalle. Wie frühe 3D-Puzzle sind die Köpfe grob zerschnitten und wieder rotzig zusammengestückelt. Um Ähnlichkeit oder gefällige Ästhetik ging es diesem Künstler ganz offensichtlich nicht. Stattdessen um Material, neue Techniken, die in den Alltag eindringen. Rundum an den Wänden überrascht ein ganz anderer Paolozzi: der Künstler als farben- und detailverliebter Druckgrafiker, der schon Ende der 1940er Jahre, weit vor Warhol und Co., Bildfundstücke aus Werbung und Massenmedien zu wimmelbildähnlichen Themencollagen kombiniert, halb ornamental, halb figürlich. Die etwa 60 Siebdrucke, Fotogravuren, Lithografien aus fünf Serien ähneln pixeliger Computergrafik, sind aber manuell gefertigt. Eine spannende Wiederentdeckung, die Lust macht auf weitere Facetten des Werks von Paolozzi.
Eduardo Paolozzi | bis 1.1.2025 | Skulpturenpark Waldfrieden, Wuppertal | 0202 47 89 81 20
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