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Kreative Freiheitsberaubung

25. Juni 2015

„Mondlicht und Magnolien“ im Wuppertaler Theater am Engelsgarten – Auftritt 07/15

Klaustrophobe Ängste kann man im kleinen Wuppertaler Theater am Engelsgarten irgendwie nicht bekommen. Und doch ist es ein Ort, an dem man momentan die Frage beantwortet bekommt: Was kommt heraus, wenn man drei Männer eine Woche lang in ein Büro sperrt und nur mit Erdnüssen und Bananen füttert? Na? – Ein Kino-Welterfolg in Hollywood. Wer die Anekdote um das Drehbuch von „Vom Winde verweht“ kennt, für den ist der Theaterabend immer nur halb so schön, aber die Komödie von Ron Hutchinson birgt natürlich boulevardesken Sprengstoff en masse. Nicht nur bei Männern scheinbar in Frauenkleidern oder ein wenig Fäkalspaß durch einseitige Ernährung, nein, nebenbei werden auch noch das Judentum in Hollywood, Adolf Hitler und die Südstaaten oder gar die Rassenfrage selbst thematisiert. Ein Stück also, das seit 2004 (UA in Chicago) zurecht ein Selbstläufer an allen Bühnen ist und das tatsächlich auch funktioniert, wenn man wie die Figur des Drehbuchautoren Victor Fleming den 1000-Seiten-Roman von Margaret Mitchell nicht gelesen oder selbst den monumentalen Dreieinhalb-Stunden-Hollywoodschinken von 1937 nicht gesehen hat.

Denn genau hier liegt die Ursache für die typisch US-amerikanische Filmanekdote, die Johannes Klaus in Wuppertal inszeniert. Mit vier ausgezeichneten Schauspielern in einem Bühnenbild, das zwar eine Zeitreise generieren will, aber eher wie von eBay ersteigert aussieht. Und so kommt man sich manchmal vor wie in einer Augsburger Puppenkiste, in die die Marx Brothers eingefallen sind, vorausgesetzt natürlich man kennt die Marx Brothers oder die Augsburger Puppenkiste. An diesem Abend kannten aber wohl alle den Hollywoodschinken mit Vivien Leigh als Scarlett O‘Hara und Clark Gable als Rhett Butler. Also hat auch jeder Gag funktioniert, der nach 6:00 Uhr an diesem denkwürdigen Tag in Hollywood passierte. Regisseur Klaus, der während der Proben für den erkrankten Jürgen Bosse eingesprungen ist, hat also alles richtig gemacht.

Was war eigentlich geschehen? David O. Selznick (in Wuppertal Stefan Walz) hat die Filmrechte am Mitchell-Roman gekauft und will aus dem Bürgerkriegs-Epos einen Kassenschlager machen. Doch das funktioniert nicht. Die ersten Fassungen würden den Film auf sieben Stunden Länge bringen, der Regisseur George Cukor versteht sich nicht mit den Hauptdarstellern. Selznick bricht die Dreharbeiten ab. Verzweifelt engagiert der Produzent den Drehbuchautor Ben Hecht (Thomas Braus) und verpflichtet seinen Hausregisseur Victor Fleming (eigentlich Miko Greza, an diesem Abend aber krankheitsbedingt Uwe Dreysel, perfekt mit eingeflochtenem Textheft), der eigentlich am „Zauberer von Oz“ (1939) arbeitet und sich mit Zwergen und Judy Garland herumschlägt. Hier beginnt die erste Szene und gleich der erste Konflikt. Autor Hecht hat den Roman nicht gelesen, hat gleich nach der ersten Seite aufgehört, ihm ist das da alles schon zu schmonzig. Doch Selznick hat keine Wahl, Hecht gilt als Gott der Drehbücher und jeder Tag Stillstand kostet ihn Unsummen. Also spielt er ihm mit Fleming den Roman vor, keiner darf deshalb das Büro mit eigenem Klo verlassen, das Slapstick-Feuerwerk kann beginnen. Doch Johannes Klaus inszeniert das Stück durchaus auch mit Blick auf die Metaebene hinter dem Klamauk. Die drei Männer führen durchaus ihre irgendwie auch zeitlose Auseinandersetzung über Filmwirtschaft, über das Kino und Hollywood, sie vergessen nicht die damaligen Diskussionen über farbige Menschen im Film und auf den Straßen. Nur im Film können Tote wiederauferstehen, viele farbige Opfer des damals beginnenden Zweiten Weltkriegs konnten das eben nicht mehr, sie durften nur für die USA kämpfen.

Nach langem Kampf haben es die drei da auf der Wuppertaler Bühne auch geschafft, das Schlachtfeld ist mit Erdnüssen und Bananen übersäht. Das Drehbuch ist nach 100 Minuten fertig. Am Ende gibt es sogar einen alternativen Schluss mit Happy End. Aber ein eingespieltes Video zeigt, dass der damals nicht gedreht wurde. Warum auch?

„Mondlicht und Magnolien“ | R: Johannes Klaus | Sa 27.6. 19.30 Uhr, WA nächste Spielzeit | Theater am Engelsgarten | 0202 563 76 66

PETER ORTMANN

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