Nicolas Charaux über „Faust“ an den Wuppertaler Bühnen – Premiere 10/21
Das Prinzip Faust, sein Streben nach Wissen und dem immerwährenden „Sich-Nicht-Zufriedengeben“ kollidiert mit dem mephistophelischen Prinzip der ewigen Verneinung und dem wundersamen „Gretchen-Prinzip“ aus Liebe und Religion. Den zeitlosen Thematiken, die Johann Wolfgang von Goethes Klassiker „Faust“ zugrunde liegen, wollte sich der französische Regisseur Nicolas Charaux in seiner Inszenierung am Opernhaus in Wuppertal widmen. Weil das geflutet war, muss dieser nun ersatzweise eine Inszenierung für zwei Bühnen ermöglichen. Auch im kleineren Theater am Engelsgarten untersucht er, was faustische Versuchungen im krisengeschüttelten Heute sein könnten, dabei denkt er seinen Faust von einem kollektiven Bewusstsein her.
engels: Herr Charaux, ist Goethes „Faust“ für Theaterregisseure was der Mount Everest für Bergsteiger ist? Wenn man den nicht bezwungen hat, dann fehlt etwas?
Nicolas Charaux: Für mich ist das nicht so. Vielleicht liegt das daran, dass ich nicht aus der deutschsprachigen Kultur komme. Bei Shakespeares „Hamlet“ dachte ich mir, okay, vielleicht inszeniere ich das einmal, aber an Goethes „Faust“ habe ich nie gedacht. Ich hatte nie die Lust, das auf die Bühne zu bringen, es ist ein ganz schön komplexes Stück.
Nicolas Charaux
Foto: Matthias Horn
Zur Person: Der Regisseur Nicolas Charaux wurde 1982 in Lunéville, Frankreich, geboren. Er studierte in Tours Literaturwissenschaften an der Universität und Schauspiel am Conservatoire d'Art Dramatique. Seit 2009 lebt Charaux in Wien, dort absolvierte er 2014 sein Regiestudium am Max Reinhardt Seminar mit Auszeichnung. Seine Diplominszenierung „Die Affäre Rue de Lourcine“ von Eugène Labiche wurde zum Körber Studio Junge Regie 2014 am Thalia Theater eingeladen. Im selben Jahr erhielt er für seine Inszenierung von Walter Kappachers „Der Abschied“ den Young Directors Award der Salzburger Festspiele. 2017 wurde er für seine Inszenierung „Das Schloss“ von Kafka am Münchner Volkstheater zum Radikal jung Festival eingeladen.
„Bestimmte Fragen treten immer noch mit uns in Resonanz“
Was macht die Klassiker so zeitlos? Nur die großen Fragen, die da gestellt werden?
Genau, weil sie Fragen stellen oder Themen angehen, mit denen wir uns immer noch beschäftigen. Für manche Themen ist es egal, ob die Figur im 18. Jahrhundert oder heute lebt. Das ist der Grund, warum sie immer noch aktuell sind, denn bestimmte Fragen treten immer noch mit uns in Resonanz. Wenn man zum Wesentlichen kommt, gibt es die Chance, dass das in 500 Jahren immer noch aktuell ist, aber es kann auch sein, dass diese Werke irgendwann nicht mehr aktuell sind, wer weiß, wie es in 1.000 Jahren aussieht.
Faust war schon jeder und alles – in Dortmund stand gerade Margarethe im Fokus. Was ist denn in Wuppertal des Pudels Kern?
Bei uns steht ganz klar Faust als ein Vertreter für bestimmte innere Konflikte im Zentrum. Diese Konflikte können wir im Grunde genommen alle erleben. Faust als ein Vertreter für eine Depression, Faust als Vertreter für eine Rastlosigkeit, eine Sinnlosigkeit im Leben, Lebenszustände, die die westliche Gesellschaft gut kennt. Ich glaube, wir kennen alle diesen faustischen Konflikt gut.
Aber würde Faust heute nicht statt Wässerchen zu probieren eher Gene manipulieren?
Es gibt ja Klon-Versuche in „Faust 2“, aber die macht nicht Faust, sondern Wagner. Aber Faust würde alles machen. Im Labor arbeiten, Flugzeuge, neue Energien bauen, Raketen ins All schicken, der würde sich mit Computern, mit IT beschäftigen, Philosoph sein, alles. Er würde mit allem zu tun haben wollen, was mit dem Fortschritt zu tun hat.
Welche faustischen Versuchungen lauern denn in unserer krisengeschüttelten Gegenwart?
Die Versuchung der Erfüllung, der Erkenntnis.
„Der Zuschauer ist unmittelbar Zeuge“
Welchen Unterschied macht es, wenn die Inszenierung vom Opernhaus an die Bühne am Engelsgarten wechselt?
Das macht einen riesigen Unterschied. Das Opernhaus hat eine Bühne, die ein großer Illusionskasten ist, man kann dort Welten erschaffen. Im Engelsgarten gibt es diesen ganzen Apparat nicht. Als Zuschauer ist man dafür in unmittelbarer Nähe zu den Spielern – das ist ein viel performativerer Ansatz. Der Zuschauer ist unmittelbar Zeuge von allem, er sieht, ob und wann eine Welt entsteht.
Muss man dann nicht zwei Inszenierungen machen – oder wandert der „Faust“ nicht zum getrockneten Opernhaus zurück?
Ja, es ist definitiv anders. Es gibt aber auch grundsätzliche Punkte, die ähnlich sind, wir erzählen aus einem Kollektiv heraus, aber es gibt Elemente, die bleiben. Es gibt aber auch Szenen, die ganz anders funktionieren müssen.
Wird Gretchen am Ende erlöst?
Ja, sie wird auf alle Fälle von Faust erlöst.
Faust | Sa 2.10. (P) 19.30 Uhr | Theater am Engelsgarten | 0202 563 76 00
Interview: Peter Ortmann
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