Was für eine Welt, die nur noch aus stählernen Gerüsten besteht. Die festen Mauern sind verschwunden, weiße Vorhänge verbergen das Draußen und Drinnen. Was wie eine Metapher fürs Wuppertaler Schauspiel aussieht, ist in der Schwebebahnstadt die Bühne fürs Soldatenglück. Ausgerechnet mit Lessings Halb-Emanz-Lustspiel von 1767 geht man nun in die Offensive für neues Theaterglück. Mag es im Opernhaus auch rumoren, im neuen Engelsgarten der Stadt kümmert man sich lieber um die wesentlichen Dinge, Krieg und Geld, Liebe, Frauenzimmer und Schnaps. AuchGotthold Ephraim ist eben zeitlos. Allein mit Paul Werners Ausruf: „Gott sei Dank, dass doch noch irgendwo in der Welt Krieg ist!“ (12. Szene) kann man die Spielplanbelegung rechtfertigen, und dass dann auch noch Kriegsschauplätze im Nahen und Mittleren Osten dazukommen, umso besser. Schon sind die Preußen im Irgendwo angelangt, schon sind die Bediensteten tätowiert und gleich zu Beginn ein Mann in Frauenkleidern (Daniel F. Kamen), das rockt die Silberhaarfraktion und flüstert Zeitgenössischkeit.
Just zu Beginn tobt sich Just auf der Stellage aus. Thomas Braus, der letzte Mohikaner in Wuppertal wirkt wie ein Fremdkörper auf dem Besetzungszettel, dummerweise setzt sich das auf der Bühne fort. Er ackert, tobt, grinst, schleicht und klimmt. „Only god can judge him“ steht auf der Brust des Dieners des Major von Tellheim. Wohlgemerkt, VON Tellheim (Uwe Dreysel). Kein Söldner aus Leidenschaft, wie sein Freund, der Biker Paul Werner (Stefan Walz), nein eher so ein korrekter Offizier, dummerweise blutjung, aber schon Invalide, dafür mit Joggingjacke und natürlich böse vom System verraten, immerhin verlobt mit auch einer „von“, aber eben pleite. Ja. Ich weiß wir kennen alle die olle Kammerspiel-Geschichte, die fast ausschließlich in einer Herberge spielt und die bestimmt in der Nähe des Engelsgartens liegt. Die zweite Metapher, die das Stück wohl nach Ansicht der Wuppertaler Dramaturgie-Regie-Intendanz in die Gegenwart hebelt und damit für den ersten richtigen Auftritt des neuen Ensembles nach dem Auftakt-Gesinge, ist das Geld, die Louisdor, die Dollars, die Taler, die Dukaten: „Man kann mit Geld nicht vorsichtig genug sein.“ Manche Lessing-Kernsätze rocken tatsächlich noch, gehen aber ob der Sprechgeschwindigkeit immer wieder mal wieder unter. Blöd, soll ja schließlich auch was gelernt werden, und wenn es reicht, nicht mit dem Kopf auf der Schulter des Nebenmannes zu landen, auch gut, unten wird sich eh alles richten, die Damen treten auf.
Minna von Barnhelm (Tinka Fürst) jung, dynamisch, zielorientiert, reich – aber wohl mit Haarphobie (oder war das etwa gar keine Regieanweisung?), sie teilt sich erst einmal cool die Zahnbürste mit Zofe Franziska (Julia Reznik). Wieder geht es rauf und runter auf dem Gerüst, und da ist er auch schon, der Wirt (Miko Greza), der erst den armen Major umsiedelte und nun den NSA-Sachbearbeiter spielt, schick als Conférencier mit Anzug und weißen Schühchen. Die Damen scharwenzeln sich aus der Situation, es plätschert so dahin, bis Thomas Braus noch mal den Verliebten geben darf. Gut, dass es in Philip Rubners eigentlich schönen Bühne keine Türen gibt, die als Auf- und Abgänge genutzt werden könnten, dann wäre es wirklich unerträglich. Eine neue Idee hinter dem Lustspiel ist nicht zu entdecken. Die Regiestruktur von Helene Vogel stammt wohl aus Lessings Zeit. Wenn die Inszenierung als eine Hommage an die Hamburger Uraufführung gedacht war, ein bisschen aufgepeppt, dann..., der Original- Einkaufswagen mit Lebensmitteln lässt mich an dieser Idee schnell wieder zweifeln und dann ist auch mal Pause mit Lustig.
Danach: Riccaut de la Marlinère kömmt. Er bringt als Anzugslusche die gute Nachricht für Tellheim in einem Kauderwelsch, dass wohl eine Mischung aus serbokroatisch und französisch sein soll. Gut dass man weiß, was er will, er tobt übers Gerüst, ein bisschen Slapstick, Abgang. Wahlweise wird die Bühne dann abgedunkelt fürs finale Tête-à-Tête – wieso eigentlich? –, ein rehabilitierter Tellheim singt „Fly Me to the Moon“. Es folgt ein Ohnsorg-Happyend mit zwei Paaren. Das Publikum dankt artig. Wuppertal hat gekriegt, was die Stadt und viele Theatergänger wohl immer wollten: eine schöne, aber belanglose Boulevardbühne. Auf der Rückfahrt komme ich noch mal am Alten Schauspielhaus vorbei und denke mit Wehmut an die letzten fünf Jahre.
„Minna von Barnhelm“ | R: Helene Vogel | Sa 13.12. 19.30 Uhr | Theater am Engelsgarten | 0202 563 76 66
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