Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
25 26 27 28 29 30 1
2 3 4 5 6 7 8

12.580 Beiträge zu
3.810 Filmen im Forum

Vorbei mit dolce vita? Nee, Friedrich Engels muss nur nach Manchester
Foto: Christoph Sebastian

Philosophischer Hotspot aus dem Bergischen

29. Oktober 2015

Schicke Studie. „Engels & Friends“ im Wuppertaler Theater am Engelsgarten – Auftritt 11/15

Der Globus war nie rot. Glücklicherweise muss man sagen, denn was die Erben der kommunistischen Ideen des 19. Jahrhunderts aus ihnen gemacht haben, war in der Lage den Planeten rot zu färben. Rot von Blut. Im Wuppertaler Theater am Engelsgarten gedenkt man nun den Urhebern einer revolutionären Vision, die bis heute nie zuende gedacht werden konnte. Das Kapital war eben immer etwas flinker. Dabei entstand vieles nur, weil der Wuppertaler Kapitalist Friedrich Engels den theoretischen Überbau maßgeblich finanzierte. Thomas Braus ist in Wuppertal dieser Friedrich Engels. Fabrikantensohn, der in jungen Jahren viel liest und so an den revolutionären Ideen seiner Zeit wächst, vom Hegelianer zum Marxisten wird, aber später trotz des sozialistischen Überbaus nie das Dolce Vita vergisst oder ihm abschwört.

In seiner Heimatstadt jedenfalls ist die ganze Papp-Welt auf der Bühne rot gefärbt. Ein gestürzter Marxscher Denkmalkopf dient manchmal als Sitzgelegenheit, dennoch steht die Aktie des deutschen Kapitalismus-Kritikers auf einem 150-Jahres-Hoch, so jedenfalls die New York Times, so auch Michael Wallner in seiner dramatischen Collage. Eine interessante Weillsche Soundspur begleitet den schnellen Abend, Texte vom ersten revolutionären Dichter Georg Ludwig Weerth (1822-1856), der in Havanna/Kuba wenigstens eine Gedenktafel besitzt, von Feuerbach und Hegel. Tja, die „Friends“ waren illustre, aber die historischen Dimensionen waren damals natürlich noch nicht absehbar. Aber das Leben rockte für Friedrich in Deutschland. Die Fabriken im Bergischen liefen großartig, wie auch die väterlichen Apanagen nach Berlin. Schampus und Weiber waren genug vorhanden, Sekt in der Hand, Geld in der Tasche, Sozialismus im Hirn, wollten wir nicht alle mal Revoluzzer sein? Dann endlich Revolution in Deutschland. „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus“, und der Geist weht auch durch Elberfeld und Barmen. Engels mittendrin, einziger Unterschied zu den Toten von 1848/49. Der Fabrikantensohn kann immer bequem flüchten, erst in die Pfalz, dann nach London.

Aber die Familie stört sein aufmüpfiges Eintreten für diese neuen Ideen im Staat. Engels muss nach Manchester. Regisseur Michael Wallner choreografiert seine Protagonisten geschickt durch das Innere der Pappkartonage von Heinz Hauser. Alle, bis auf Thomas Braus, haben mehrere Figuren zu spielen, insbesondere Stefan Walz muss ausgerechnet zwischen dem erzkonservativen Vater und Karl Marx switchen, aber das ist natürlich kein Problem für den Hünen mit Knieschonern unter dem Mantel. Mit Licht und Nebel geht es rund in Manchesters Ausbeuterfabriken. Wo, wenn nicht hier könnte der Zündfunke für die revolutionären Ideen eines Karl Marx brennen? Engels wird mit den tatsächlichen Verhältnissen konfrontiert, zwei Jahrzehnte macht er hier den Spinnweberei-Unternehmer. O.k., er unterstützt Karl Marx und dessen Familie, aber vom internationalen Sozialismus sind sie tatsächlich noch Universen entfernt. Und viel verändert hat der junge Schnösel im britischen Hades der Moderne ja wohl auch nicht.

Hier beginnt die Inszenierung etwas zu wackeln. Gott ist tot, der Mensch ist frei? Zu sehr drängen nun die biografischen Anekdoten an die Oberfläche, zu viel Schlagschatten auf Vergangenheit und Zukunft, den theoretischen Modellen und Formulierungskämpfen kann der Theaterbesucher ja doch kaum folgen. Engels ist cool? Weil er zwölf Sprachen spricht? Weil die Mittelschicht immer noch abgehängt wird? Was kommen wird, ist globalisierter Kapitalismus gepaart mit pseudorevolutionärem Terrorismus. Ja, der Engels, der schwappt immer noch bei Eastbourne aus der Nordsee, aber seine Ururenkel haben heute hoch dotierte Bundestagsmandate. Da trifft sich die sozialistische Besitzstandsschickeria ja wieder. Die Klasse der Nichtbesitzenden schaut weiter in die Glotze. Eine Wuppertaler Revue, die eigentlich keine sein will, geht zu Ende. Mit Applaus. Und das haben die Macher und alle Schauspieler auch verdient. Und – es ist in der heutigen Zeit auch ein sinnvoller Abend.

„Engels & Friends“ | Sa 31.10., Mi 4.11. 19.30 Uhr | Theater am Engelsgarten, Wuppertal | 0202 563 76 66

Peter Ortmann

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Konklave

Lesen Sie dazu auch:

„Es geht auch darum, wer der Stärkere ist“
Regisseur Peter Wallgram über „Monte Rosa“ am Theater am Engelsgarten – Premiere 11/24

„Im Stück steckt ganz viel Politik drin“
Regisseurin Barbara Büchmann über „Der einzige Mann am Himmel bin ich“ in Wuppertal – Premiere 10/24

Märchenhafte Rollenverteilung
„Es war einmal…“ am Schauspiel Wuppertal

„Wir sind eher im sozialkritischen Drama zuhause“
Regisseur Peter Wallgram über „Woyzeck“ am Wuppertaler Theater am Engelsgarten – Premiere 06/24

„Eine Geschichte, die keinen Anfang und kein Ende hat“
Die Choreograph:innen Thusnelda Mercy und Pascal Merighi über „Phaedra“ in Wuppertal – Premiere 05/24

Teuflischer Plan
Senecas „Phaedra“ am Theater am Engelsgarten – Prolog 04/24

„Das Klügste ist, dass man die Polizei gar nicht sieht“
Anne Mulleners inszeniert „Falsch“ am Wuppertaler Theater am Engelsgarten – Premiere 03/24

„Wir haben uns absolut gegen den großen Stein entschieden“
Regisseurin Hannah Frauenrath über „norway.today“ am Theater am Engelsgarten – Premiere 12/23

„Es geht darum, was es heißt, politisch aktiv zu werden“
Jenke Nordalm inszeniert Thomas Köcks „Klimatrilogie“ im Theater am Engelsgarten – Premiere 09/23

„Zu Theater gehört Wagnis und Experiment“
Intendant Thomas Braus über die neue Saison am Schauspiel Wuppertal – Premiere 08/23

„Thomas Mann tut es gut gekürzt zu werden“
Henri Hüster spricht über seine Inszenierung des Zauberbergs – Premiere 04/23

Sie haben ein knallgelbes Gummiboot
„Vogelfrei“ am Theater am Engelsgarten – Auftritt 01/23

Bühne.

Hier erscheint die Aufforderung!