Auftritt Samy Deluxe, Mikrofoncheck per Beatbox. Und das in Hörsaal 14 der Uni, in dem sonst solche „Songs“ laufen wie „Lebendige Mathematik“ oder „Einführung in die Didaktik des Sachunterrichts“. Aber es gibt eben auch Seminare namens „Genres der populären Musik (I): Black Music. Vom Blues zum Hip-Hop“. Verantwortlich dafür ist Musikpädagoge Oliver Kautny, der an der Bergischen Universität seit Jahren in Sachen Hip-Hop unterwegs ist.
Kautny war es auch, der den Hamburger Rap-Superstar zum wiederholten Male für die neueste Ausgabe der Wuppertaler Hip-Hop Academy gewinnen konnte. Ein Format, bei dem der Professor seit 2008 bekannte Gesichter der Rapszene zu Theorie- und Praxis-Sessions einlädt. Public-Enemy-Produzent Hank Shocklee war schon da oder auch Mitglieder der jüngst in den Rap-Ruhestand verabschiedeten Combo Blumentopf.
Die Rap-Urväter Public Enemy waren denn auch gleich der Einstieg ins Gespräch. Kautny hatte Songs vorbereitet, an denen er seinen Roten Faden für die ungewöhnliche Vorlesung im komplett gefüllten Hörsaal aufzog. Vorzugsweise mit Jazz-Samples, denn das Motto lautete „Rap goes Jazz“. So entwickelte sich ein musikkultureller Abriss mit sehr persönlicher Note und immer wieder launigen Anekdoten, die der Hamburger Rapper vortrug und damit für viele Lacher sorgte. „Ich glaube nicht, dass so häufig an der Uni herzhaft gelacht wird, deswegen freue ich mich, dass wir heute so viel Spaß hatten“, sagte er nach dem Event.
Nicht zu überhören war, dass der 38-Jährige sich gegenüber dem Studentischen und dem Theoretischen heute immer noch vorsichtig zeigt. Vermutlich liegt das auch daran, dass er sich seinen sozialen Aufstieg als „MiMiMi“ („Mitbürger mit Migrationshintergrund“, einer seiner letzten Songs) außerhalb der vermeintlichen Eliten hart erarbeiten musste. „Ich war früher gefühlt immer der mit der falschen Hautfarbe, deshalb freut es mich zu sehen, wie für mich doch noch Türen aufgegangen sind, bis hin zur Hochkultur“, sagte er nachdenklich.
Das Meiste von dem, was er heute als Rapmusiker mache, habe er jedenfalls außerhalb der Schule gelernt. Gerade im künstlerischen Unterricht habe er oft hinterfragt, welchen Sinn es habe, nachzuahmen: „Wieso sollte ich im Kunstunterricht ein Bild abmalen, wenn ich doch mein eigenes Werk erschaffen kann?“, sagte der nach wie vor aktive Graffiti-Fan. Zu lernen sei dennoch wichtig. Genau das ist es allerdings, was Rap in die deutsche Gesellschaft eingebracht hat: Das Gefühl, es alleine und mit Musik nach oben schaffen zu können, wenn man dafür brennt – auch wenn Rap lange außerhalb jeglicher Lehrpläne stand. Heute gibt es kein Genre, das in Deutschland mehr Nummer-Eins-Platten in den Charts platziert.
Kautny griff erst einmal tief in die Kiste der Rap-Geschichte, holte neben Public Enemy auch Nas und Eminem hervor. Samy Deluxe verstand die beiden als Gamechanger, die durch ihren Stil das Genre vom einen auf den anderen Moment verändert hätten. Der Professor ließ aber auch die politisch leider aktuelle Hymne der „Black Lifes Matter“-Bewegung aus den USA abspielen. Kendrick Lamars „Alright“ beförderte das Gespräch schließlich noch einmal auf eine andere Dimension.
Weil Lamars Alben durch den hohen Jazz-Einfluss sehr anspruchsvoll seien, habe er selbst Schwierigkeiten gehabt, sich in die Musik einzufinden, sagte Samy Deluxe. Jazz sei generell ein Genre, in das er nicht leicht eintauchen können. Er habe sich oft gefragt, ob er diese Musik überhaupt hören dürfe, „so wie ich aussehe“. Dennoch betonte er seinen großen Respekt vor K-Dots „Meisterwerk“. „Ich feiere jeden Rapper, der auf irgendeine Weise Aktivismus betreibt, ohne dass es sich anhört, als wäre es von seinem PR-Manager geplant“, sagte er.
Samy Deluxe selbst sieht seine persönliche politische Arbeit neben der Musik vor allem durch seinen Verein DeluxeKidz geprägt, durch den er die Jugend über Hip-Hop erreichen will. Aufregen über politische Missstände könne er sich hingegen heutzutage nur noch selten: „Dazu bin ich zu gechillt. Ich erwarte so wenig im positiven Sinne, dass mich negative Dinge nicht mehr groß schocken können.“ Irgendwie über den Dingen zu stehen, das hat Samy Deluxe schon immer ausgemacht, nur, dass er sich als etablierter Künstler heute seine Projekte quasi aussuchen kann, Produzent anderer Topstars ist (Nena) und zur Primetime im TV auftaucht („Sing meinen Song“).
Diese Gelassenheit nahm er dann auch mit auf die Bühne im Klub an der Wuppertaler Gathe, der gerammelt voll war und auf die Ankunft des Rapidols wartete. Ebenfalls am Start: David P und Roger Rekless aus München, DJ Vito und das Jazz-Trio Thomas Rückert (Keys), Lukasz Dworak (Bass) und Mirek Pyschny (Drums). Ein ordentliches Setup für eine Freestyle Session namens „Rap goes Jazz“.
Anderthalb Stunden lang gaben sich die drei Rapper das Mikro in die Hand und zeigten, dass das Freestylen verdammt nochmal eine Kunst ist, die es nie wirklich in den Mainstream geschafft hat, aber den Aufstieg anderer Kulturformen wie den Poetry Slam maßgeblich beeinflusst haben dürfte. Dabei geht es darum, spontan zur Musik zu rappen.
Das Freestylen ist so alt wie Hip-Hop selbst, es ist immer ein sozialer Faktor gewesen. Generationen von Rapmusikern haben auf der Straße oder im Jugendhaus angefangen, ihre Skills live auszufeilen. Getreu dem Beginner-Motto „es reimt, is‘ fett, der Reim ist fett“ („Füchse“) sei es laut Samy Deluxe dabei auch nicht immer wichtig, politisch korrekt zu sein. „Es ist bei Kunst ja immer die Frage, was man vertreten kann. Ein gewisser Qualitätsstandard in der Gestaltung rechtfertigt die Kunst oft selbst“, sagte er.
Um das zu üben, bietet heutzutage sogar die Webseite rapscript.de einen Freestyle-Wortgenerator an. Der Generator gibt die Begriffe ähnlich wie eine Karaoke-Maschine zur Inspiration vor, die man in seinen Part einbauen soll. So ähnlich lief es auch bei der Session im Klub ab. Immer wieder nahmen die drei Rapper ihre Eindrücke des Besuchs auf und banden sie in ihren Textfluss ein – ob es Selfie-schießende oder hübsche weibliche Fans aus den ersten Reihen waren oder – natürlich – die Schwebebahn.
Mit Wuppertaler Rap, so verriet Samy Deluxe im Gespräch, verbindet er übrigens nach wie vor das Duo Walkin‘ Large, das Mitte der 90er Jahre als erste erfolgreiche englischsprachige Rapgruppe aus Deutschland für Furore sorgte („Boy Meets World“).
Wer einen MC wie David P und dessen lyrische sowie thematische Bandbreite einmal live erlebt hat, kann nur zustimmen, dass Freestyle-Rap in den künstlerischen Kanon aufgenommen gehört. Fans können nur froh sein, dass der 41-Jährige sich nicht gänzlich seiner Hausarztpraxis widmet, sondern wieder regelmäßig auf der Bühne steht.
Und wer könnte es besser als Samy Deluxe, der schon 1998 „Freestyles näher am Geschehen als jedes Hip-Hop-Fanzine“ brachte („Füchse“ mit den Beginnern). Roger Rekless stand seinen beiden Kompagnons in nichts nach und feierte die Session später als „das krasseste Erlebnis“: „Ich bin so unfassbar happy das erlebt zu haben. Beste Crowd, beste Musiker. Und jetzt könnt ihr eigentlich alle mit dem Freestylen aufhören weil die drei Kings sind gekrönt.“
HipHop-Academy der Bergischen Universität: www.musik.uni-wuppertal.de
Samy Deluxes Projekt DeluxeKids: www.deluxekidz.de
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