Ich bin Italienerin. Ich bin Ägypterin. Ich bin Schweizerin. Ich bin keine Deutsche, ich fühle mich nicht deutsch. Vielleicht liegt es daran, dass ich es bisher nicht geschafft habe, es mir hier heimelig zu machen. 1999 kam ich nach Deutschland, erst nach München, wo ich meinen ersten Film gedreht habe, dann nach Berlin. Seit 2003 lebe ich in Wuppertal. Ich habe Freunde, aber ich bin trotzdem viel allein. Jeder ist so fest in sein eigenes Leben verstrickt. Ich bin glücklich, wenn man mit Freunden zusammen kocht, musiziert, tanzt.
In Zürich ist eine ganz andere Lebensqualität, aber meine Familie ist mir das Kostbarste, da zieht man nicht mal eben um. Ich habe in Mailand, London, Genf und Zürich gelebt, nur auf mich selbst gestellt, habe ich immer Arbeit gefunden. Mit einem Kind und nicht ausreichend Familie um einen herum ist es schwieriger. Ich habe meinen Mann bei einem Reamonn-Konzert kennengelernt, und als ich schwanger wurde, zog ich zu ihm nach Wuppertal.
Ich habe zwei Pässe, einen schweizerischen und einen italienischen. Damals musste man für die Verlängerung der deutschen Aufenthaltserlaubnis noch stempeln. Das ist heute nicht mehr so. Aber obwohl ich schon so lange in Deutschland bin, werde ich beim Amt schlecht behandelt. Und es dauert alles sehr lange. In der Schweiz ist das anders. Zwanzig Minuten, dann ist man fertig.
Beruflich habe ich mich mehr und mehr dem Thema Migration verschrieben, mit theaterpädagogischen Projekten an Schulen. Ich habe einen Draht zu Kindern aus einem anderen Herkunftsland. Sie sehen mich und fragen gleich: „Bist du türkisch?“, oder heutzutage: „Bist du aus Syrien?“ Ich weiß, was sie fühlen. Diese Arbeit erfüllt mich. Ich mache gern etwas gegen Schranken im Kopf, etwas, dass das Herz berührt, Brücken baut und Menschen zusammenbringt. Bei meinen Lesungen wähle ich Bücher aus zum Beispiel Indien, Palästina, Afghanistan, Nigeria – „Until the lion learns to write, every story will always glorify the hunter“, sagt ein afrikanisches Sprichwort. Ich will die Geschichten dieses Löwen erzählen.
Ich bin 49 Jahre alt und spreche Italienisch, Französisch, Deutsch und Englisch. Und Schweizerdeutsch. Deutsch habe ich erst in der Schule gelernt. Hochdeutsch sprach man nur an der Uni. Meine Mutter war Italienerin, mein Vater Ägypter, sie sind inzwischen verstorben. Sie haben sich beim Tanzen kennengelernt, als er aus beruflichen Gründen in Italien war. Sie konnten sich nicht unterhalten, aber sie fand es toll, wie er tanzt.
Meine Mutter war katholisch, mein Vater muslimisch. Nicht streng religiös, aber als Kind bedeutete Religion für mich nur Verbote. Auch heute mag ich Religionen nicht, sie grenzen automatisch andere Menschen aus und sind ein Manipulations- und Machtinstrument, sobald sie zu einer Institution werden. Meine Weltvorstellung beruht auf Mitgefühl und dem Wunsch nach Gerechtigkeit. Respekt, Dankbarkeit und Demut vor dem Leben, der Natur – wir sind ein Teil davon. Ich lebe vegan, aber man müsste noch viel mehr ändern in der Welt. Solange das kapitalistische System herrscht, das auf Ausgrenzung, Ausbeutung und Zerstörung beruht, wird sich nichts grundlegend zum Besseren ändern.
2015 habe ich eine Weiterbildung gemacht, ein Pilotprojekt: diversitätsbewusste kulturelle Bildung für Kunst- und Kulturvermittler. Oder für Leute, die mit heterogenen Gruppen arbeiten. Niemand ist frei vom Schubladen-Denken, einer Brille auf die Welt. Aber man muss sich ihrer wenigstens bewusst sein. Unsere Mauern sind willkürlich, darum versuche ich, in meinem kleinen Wirkungskreis etwas dagegen zu tun.
Zur Person:
Soraya Sala wuchs im schweizerischen Tessin im Herman Hesse-Ort Montagnola auf. Mit 16 Jahren zog sie aus, um ihren eigenen Weg zu gehen, ihr Ziel: Filmschauspielerin werden. Ihr erster Film führte sie nach Deutschland, die Liebe nach Wuppertal.
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