Mich verbindet nicht mehr viel mit Russland, aber ich liebe die russische Küche. Ich spreche noch recht gut Russisch, doch meine Heimat ist Deutschland. In Wuppertal lebe ich zwar erst seit drei Jahren, aber ich bin bereits vor 15 Jahren nach Deutschland gekommen, zusammen mit meinen Eltern. Meine Großeltern und Urgroßeltern kamen zwei Jahre früher, sie folgten dem Go-West-Trend. Meine Familie hat sich hier ein besseres und sichereres Leben erhofft. Ich erinnere mich an nicht mehr viel, aber natürlich noch an die kalten Winter, in denen man manchmal nur mit Skihose zur Schule gehen konnte.
Ich war bis heute auch nicht mehr in Russland, vielleicht würde ich mit meinem Freund mal hinreisen, um ihm das Farmhaus meiner Urgroßmutter zu zeigen. Es ist inzwischen verfallen, die Natur hat es sich einverleibt. Das mag ich auch an Wuppertal – hier gibt es viel Natur. Auch das Bergige, der Ausblick ist wunderschön. Am Anfang fand ich die Schwebebahn ganz aufregend, aber man gewöhnt sich schnell daran. Trotzdem mag ich sie immer noch sehr gern. Auch Busse fand ich in Deutschland toll, weil man so weit mit ihnen fahren kann. In Nowosibirsk fahren sie nur kurze Strecken im Zentrum.
Dort haben wir in einem Hochhaus gewohnt, in Erkrath auch – die Anonymität kannte ich also schon. Wir sind über die Jahre oft umgezogen, so dass ich viele verschiedene Städte kennenlernen konnte. Mein Glück war, dass ich in Russland schon ein Jahr Deutsch gelernt hatte. Ich kam in Erkrath in die 5. Klasse auf dem Gymnasium, dort gab es ein Mädchen aus der Ukraine, sie hat mich in der ersten Zeit ein bisschen unter ihre Fittiche genommen. Ich war eingeschüchtert von all dem Neuen, doch nach ein bis zwei Jahren wurde das besser.
Ich wollte in Düsseldorf studieren, doch es gab dort kein Lehramt mehr, und so verschlug es mich nach Wuppertal. Ich wohne hier mit meinem Freund zusammen. Ich habe noch einen Bruder, der in Deutschland geboren wurde und jetzt acht Jahre alt ist. Zu ihm und meiner Mutter habe ich den engsten Kontakt. Er ist ganz anders als ich, er fühlt Russland als Heimat, das liegt an meinen Großeltern, die bei ihm sehr darauf achten. Bei mir haben sie das auch versucht, aber bis auf die Sprache und das Essen ist nicht viel geblieben. Und wenn ich so sehe, was derzeit in Russland passiert, denke ich, meine Eltern haben das damals ganz richtig entschieden. Mit der deutschen Pünktlichkeit und Struktur kann ich mich zudem gut identifizieren. Die Bürokratie allerdings ist oft übertrieben und scheint manchmal nur dem Erhalt von Arbeitsplätzen zu dienen.
Für mich bedeutet Heimat, mit Menschen zusammen zu sein, bei denen ich mich wohl fühle, das hat für mich nicht viel mit dem Ort zu tun. Letztens haben wir uns verfahren, und mein Freund und ich hatten keine Ahnung, wo wir sind. Da ist mir das sehr bewusst geworden: Solange er dabei ist, ist es mir egal, wo wir sind. Darum können wir uns auch gut vorstellen, vielleicht ins Ausland zu gehen, wenn wir mit unserem Berufsweg fertig sind.
Zur Person:
Natalia Kost ist 25 Jahre alt und studiert Master of Education (Mathe, Deutsch) an der Bergischen Universität. Sie kam 2003 nach Deutschland und zog 2014 nach Wuppertal. Für die Zukunft denkt sie über die Hochzeit mit ihrem Freund und den Gang ins Ausland nach.
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