Nach meinem Abitur hatte ich einen großen Plan: Filmemacher werden. Ohne Rückfahrkarte, mit gerade einmal 150 Euro in der Tasche bin ich aus Wuppertal nach Berlin gereist. Ein USB-Stick mit selbstgedrehten Filmen sollte mein Startkapital sein.
Wenige Jahre vorher hätte ich von diesem Plan noch nichts ahnen können. 1991 bin ich in Kamerun geboren. Wir hatten es nicht schlecht. Meine Mutter arbeitete im Finanzministerium und ich habe eine gute Schule besucht. Doch als mein Vater starb, als ich 13 war, änderte sich alles. Meine Mutter fuhr auf eine Kur nach Deutschland und verliebte sich in einen Mann aus Wuppertal. Seine Heimat sollte jetzt auch unsere Heimat sein.
Es war eine schwierige Zeit. Nachdem sich die Ausländerbehörde in Wuppertal mein Zeugnis aus Kamerun angeschaut hatte, wurde schnell entschieden: Entwicklungsland, keine deutschen Sprachkenntnisse, unverständliche Noten, also: „Hauptschule. Förderklasse.“ Das war für mich, der bisher immer ein guter Schüler war und erstmal kein Wort Deutsch sprach, natürlich eine harte Zeit. Mobbing war an der Tagesordnung. Täglich wurde ich daran erinnert, dass ich eine schwarze Hauptfarbe habe. Bloß nicht der Schwächste sein! Doch ich hatte Glück: Einer Lehrerin ist aufgefallen, dass ich gerne Geschichten schreibe. In der Weihnachtszeit durfte ich meine eigenen Kurztexte vor der Klasse vorlesen.
So bin ich in der neunten Klasse beim Medienprojekt Wuppertal gelandet. Zunächst als Praktikant. Es war der Beginn einer großen Leidenschaft für den Film: Schnitt, Ton, Drehbuch, Musik. Alle Grundlagen des Filmens habe ich beim Medienprojekt gelernt. Doch der Film hat mir noch viel mehr bedeutet: Ich habe gemerkt, dass ich aus meinem Leben in Deutschland machen kann als andere. Mehr als meine Mutter, die, hohe Finanzbeamtin in Kamerun hin oder her, inzwischen ihr Geld als Putzfrau verdienen muss. Ich habe den Schritt auf die Gesamtschule geschafft und mein Abi mit Ach und Krach und einem phänomenal schlechten Abischnitt bestanden.
Doch als Filmregisseur braucht man keine guten Noten. In Berlin bin ich tagelang von Tür zu Tür gezogen, um ein Praktikum bei einer Filmagentur zu ergattern. Dann hat es wirklich geklappt: Ich habe die Filmwelt kennengelernt, das Berliner Leben in allen Zügen genossen, und irgendwann meine ersten eigenen Kurzfilme gedreht. Und doch hat es nicht für die Aufnahme an einer der großen Filmhochschulen gereicht.
Aufgegeben habe ich deswegen aber nicht. Und wieder hatte ich Glück. Ich habe mich bei einer sehr bekannten Werbeagentur beworben und saß plötzlich dem Chef persönlich gegenüber: „Warum geht man als junger Mann aus Wuppertal nach Berlin?“, wollte er wisse. Es war ein Schlüsselmoment. Plötzlich war ich ganz offen: „Ich bin schwul.“ „Und als schwuler Schwarzer war Wuppertal nicht das Ideale.“ Dann habe ich ihm meine Geschichte erzählt und meine Filme gezeigt. Der Chef muss sehr beeindruckt gewesen sein. Kurz darauf mir eine Position als Werberegisseur angeboten. Eine viel höhere Position als die Stelle, auf die ich mich beworben hatte.
Man könnte denken, dass ich es jetzt geschafft habe. Doch ich bin vorsichtig: Zum einen weiß ich, wie gnadenlos der Konkurrenzdruck in der Werbewirtschaft ist. Vor allem aber kenne ich die Vergänglichkeit von Dingen, die sicher erscheinen.
Zur Person
Gabriel Bihina wuchs im Kamerun auf und folgte seiner Mutter im Alter von 13 Jahren nach Wuppertal. Ein Praktikum beim Medienprojekt Wuppertal brachte ihn mit dem Filmemachen in Berührung. Inzwischen ist er Inhouse-Regisseur bei einer großen deutschen Werbeagentur.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Ich liebe alle Menschen“
Kutub Uddin aus Bangladesch lernt Deutsch kochen und sprechen – Heimat Wuppertal 03/18
„Wir folgten dem Go-West-Trend“
Natalia Kost, Studentin aus Sibirien, fühlt sich hier zuhause – Heimat Wuppertal 03/18
„Andere Kulturen bereichern“
Die Wuppertaler Schauspielerin Lilay Huser – Heimat Wuppertal 02/18
„Meine Kinder können hier viel lernen“
Jassem Al Abd Alokla, Koch und Familienvater aus Syrien – Heimat Wuppertal 02/18
„Unsere Nachbarin hatte Angst vor uns“
Die Türkin Serife Gerdanoglu wuchs zunächst in Frankreich auf – Heimat Wuppertal 01/18
„Viele Menschen haben mir geholfen“
Mahmoud Wodayhi macht sich nach einem „Todestrip“ selbständig – Heimat Wuppertal 01/18
„Unsere Mauern sind willkürlich“
Soraya Sala – Heimat Wuppertal 12/17
„In Syrien gab es keine Zukunft mehr“
Mohammad Kasrawi sorgt für zufriedene Kundschaft – Heimat Wuppertal 12/17
Die Frau, die aus der Kälte kam
Daria Kimmel bleibt Kindern treu – Heimat Wuppertal 10/17
Birnen und Butterbrote
An ihre ursprüngliche Heimat Pommern hat Doris Stückrath noch sehr lebhafte Erinnerungen – Heimat Wuppertal 09/17
Alptraum auf See
Mohammed Kharsai steckt der Schrecken seiner Flucht noch immer in den Knochen – Heimat Wuppertal 09/17
Zuhause der zweiten Lebenshälfte
In Wuppertal kann Rita Gupta-Nehring endlich wieder tanzen – Heimat Wuppertal 08/17
Was erreicht worden ist
Warum Nostalgie auch in die Zukunft weist – Spezial 01/25
Dear Fred,
engelszungen 01/25
Klimaschutz = Menschenschutz
„Menschenrechte in der Klimakrise“ in Bochum – Spezial 11/24
Dear Fred,
engelszungen 11/24
Ermunterung zur Solidarität
Stadtrundgang im Rahmen der Armin-T.-Wegner-Tage – Spezial 10/24
Lieber Freund Engels!
engelszungen 10/24
Wurzeln des Rechtsextremismus
Online-Vortrag „Ist die extreme Rechte noch zu stoppen?“ – Spezial 09/24
Lieber Engels
engelszungen 08/24
Lieber Friedrich
engelszungen 07/24
Dear Fred,
engelszungen 06/24
Lieber General!
engelszungen 05/24
Notnummer? Lachnummer? Pflichtblatt!
40 Jahre Wuppertaler Satiremagazin Italien – Spezial 04/24
Lieber Engels!
engelszungen 04/24