Nun, eigentlich geht es um sexuelle Nötigung, Rechtsbeugung, Unterschlagung und so weiter. Denn eigentlich ist Heinrich von Kleists Dorfrichter Adam so ein typischer selbstherrlicher Machtarsch irgendwo im System, der kriminell, frauenfeindlich, gierig sein Leben fristet, und das in einer Position, von der er denkt, dass sie ihm absoluten Schutz bietet. Er hätte also auch Kardinal oder Hollywood-Filmproduzent sein können. Und diese Burschen waren immer schon zäh und schwer zu fassen.
In Marcus Lobbes‘ Inszenierung von „Der zerbrochne Krug“ wird dieser Aspekt in der Wuppertaler Oper vorsätzlich zugekleistert. Vorsätzlich und mit Methoden moderner Medien-Meinungsbildung, nein, nicht Richter sucht Frau, sondern mit preiswert produzierter Abendunterhaltung. Eine silbrige Alufolien-Showtreppe, ein billiger Conférencier, ein paar einfache Requisiten (Bühnenbild: Pia Maria Mackert), alles gestrafft auf 90 Minuten, und schon hat Lobbes das Niveau so weit gesenkt, dass auch ein US-amerikanischer Präsident der Handlung folgen könnte.
Und dass der juristische Regulator Gerichtsrat Walter (Jonas Gruber) selbst den Showmaster gibt, macht den gesellschaftspolitischen Ansatz irgendwie perfekt: „Macht euch bereit auf Unerwartetes“ steht eh nicht bei Kleist, aber das Spektakulum fordert Beifall – und das Wuppertaler Publikum liefert den auch, der Klamauk über die zwei Antipoden Adam und Eve macht ja auch Spaß und schaut euch nur die lustigen Kostüme an, der Klumpfuß vom Dorfrichter (Thomas Braus) sieht eher aus wie die Pranke vom Wolf der sieben Geißlein, Liese (Julia Reznik, später auch Frau Brigitte als Frau Antje-Double) scheint stockbesoffen die Nacht in seiner Kammer verbracht zu haben, und Eve (Lena Vogt) ein Landei-Barbie mit Gummistiefel-Attitüden.
Genug der optischen 3D-Überreizung mit wechselnden Schnitten und Fokussierung auf einzelne Tatorte. Nein, auch die Audiospur wird bis zur Erschöpfung überdehnt. Jede Zahl bekommt ein digitales Piep, jeder Schlag mit dem Richterhammer ein Huch – und es werden viele Schläge, dazu ein „Ups“ von Eve wenn ein beinahe Schimpfwort auftaucht. Running gags sind das Bekreuzigen und die lebenden Hühner im Schlag. Doch die Regie verfolgt auch eine überzeugende Grundstruktur der Reduktion auf den Kern der Kleistschen Geschichte: Was tut ein in die Enge getriebener Straftäter, der über sich selbst Gericht halten soll? Und so entsteht ein zeitgenössischer Ansatz, der zwischen kreierten Fake News und alternativen Fakten die großartige Sprache des Dichters nicht veralbert, sondern als Haltestrick anbietet, wenn die dramaturgische Verwüstung zwischen einer Handvoll Vorhängen auf der Bühne zu verwirrend wird.
Bei Lobbes ist Adam undurchschaubar, sein Bauch kommt nicht aus Danzig oder Limburg, sondern aus dem Federkissen, er spielt den schlurfenden Dummen, der am Ende dramaturgisch geschickt zum rot gewandeten Mephisto mutiert, der auch nicht mehr durchpassieren muss. Wie bei Kleist wird er am Ende nicht in den Kerker wandern, sondern eher beschmunzelt, der alte Schwerenöter. Ein Kavaliersdelikt. Was sonst. Eve stampft am Ende mit Variant noch die gelben Gummistiefel auf den Boden: „Ich spiel' den Schluss alleine“ – #metoo lässt grüßen.
„Der zerbrochne Krug“ | R: Marcus Lobbes | 3.10. 16 Uhr, 6., 13., 20.10. je 19.30 Uhr, 28.10. 18 Uhr | Opernhaus Wuppertal | 0202 563 76 66
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