Was würde passieren, wenn Lehrer in ihrer Aula für ein Schulprojekt in Afrika Spenden eintreiben wollten? Ambitioniert und willig. Das Bühnenbild aus stilisierten Überseekisten hat der Kunst-Leistungskurs gebaut, Regie führen natürlich alle. Auf den Brettern, die auch zu Ruhm und Anerkennung führen können, wird schon mal geprobt. Das Chaos unter den pädagogisch vorgebildeten Gutmenschen ist vorprogrammiert, kein Wunder, dass ein ganzer Kontinent, dem immer noch für uns alle Rohstoffe gestohlen werden, am Abgrund steht. Der Afrofuturismus ist noch keine Realität, der Widerstand gegen eine weiße Zukunft zu klein, also bleibt nur die Hoffnung auf Almosen der Ausbeuter, die ihre Haltung intellektuell schick, mit dem toten Marat von ques-Louis David, dokumentieren.
Das alles fegt dem privilegierten Kritiker (weil er live dabei sein darf und nicht streamen muss) im Wuppertaler Theater am Engelsgarten bei der Premiere durch den Kopf, während auf der Bühne leichter Nebel durch die Holzkisten wabert und in Ingrid Lausunds Stück „Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner“ (von 2009) die erste Box aufgerissen wird und Leo (Kevin Wilke) die wegen Corona auch nur spärlich besetzten Reihen auffordert, ein paar Euro zu spenden. Seine Mitmachanimation verläuft, anders als in einigen anderen Aufführungen vor Covid-19, hier natürlich ins Leere. Außerdem wird er schnell von seinen vier Mitstreitern ausgebootet, die ab sofort versuchen, ihre Spielzeit zu vergrößern. Die Schule in Guinea-Bissau gerät schnell in den Hintergrund. Kein Wunder, Rainer weiß trotz scheinbarer Belesenheit und dem Marat-Druck im Goldrahmen nicht einmal, ob die ehemalige portugiesische Kolonie im Westen oder Osten Afrikas liegt (Westen!) oder wie viele Menschen dort an Hunger sterben. Kontrastiert wird er von der mondänen Christine (Annou Reiners), die Posing mit Acting verwechselt, sich aber für den Star des kommenden Benefiz-Abends hält.
Anna Elisabeth Frick hat ihre Regie ganz brachial mit den Auflagen zur Pandemie verbunden. Die Figuren bleiben fast statisch an ihren Plätzen, treten aus den Kisten, springen darauf herum, kommen sich aber nie näher. Auch das würde in einer Theater-AG ganz ähnlich ablaufen und offenbart so die groteske Situation in Theater und Stück. Daran kann auch der zwanglos poetische Moment nichts ändern, wo die fünf in Weiß noch einmal zur Spende aufrufen wollen. Szenen werden durch gemeinsames Schreien getrennt, die Beleuchtung erhöht den jeweiligen Spielplatz. Stefan Walz mit Tropenhelm in seiner Urwaldkiste ist gemeinsam mit der flippigen Dritte-Welt-Aktivistin Eva (Julia Meier) eigentlich der moralische Mittelpunkt der Geschichte. Doch darum geht es im Kammerkistenspiel schnell nicht mehr, alle verlieren sich in den Fallstricken des Wohlstands, kämpfen um Belanglosigkeiten, verlieren das Ziel mehr und mehr aus den Augen. Also alles so, wie es täglich um uns herum passiert und jetzt auch noch Corona, da wird die Fußball-Bundesliga sowieso wichtiger als Rassismus oder wenigstens Betroffenheit. Dass im Theater immer noch an den falschen Stellen in diesem eigentlich antikolonialen Stück gelacht wird, hat mich gewundert. Eigentlich auch nicht. Die komödiantische Selbstbeschau der eigenen Unzulänglichkeit ist eben in Deutschland immer noch der einfachste Weg, um nicht wirklich hinschauen zu müssen. Auf jeden Fall Betroffenheit vermeiden!
Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner | Sa 26.9. 19.30 Uhr | Theater am Engelsgarten, Wuppertal | 0202 563 76 66
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