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Rita Gupta-Nehring, Indien
Foto: Benny Trapp

Zuhause der zweiten Lebenshälfte

27. Juli 2017

In Wuppertal kann Rita Gupta-Nehring endlich wieder tanzen – Heimat Wuppertal 08/17

Seit ich ein kleines Kind war, habe ich gerne getanzt. In Indien gehörte bengalische Musik zu unserem Familienleben, mit vier Jahren schloss ich mich das erste Mal einer Tanzgruppe an. Doch in meiner Großfamilie in Kalkutta hatten Andere das Sagen. Mein Opa wollte nicht, dass ich tanze. Einmal sah er mich bei einer Tanzaufführung: Als Schlange verkleidet wehten meine langen schwarzen Haare im Wind. Die Zuschauer liebten es, doch mein Großvater sagte: „Rita, das hast du gut gemacht. Aber du musst mir versprechen, mit dem Tanzen aufzuhören.“ Von da an tanzte ich heimlich, mit der stillen Erlaubnis meiner Mutter. Auch die Musik war mir wichtig. Der Chor, in dem ich sang, trat sogar im Radio von Kalkutta auf.

Wir waren keine reiche Familie. Als ich anfing Jura zu studieren, musste ich nebenher als Lehrerin zu arbeiten, um mir das Studium  zu finanzieren. Zwei meiner Brüder lebten bereits in Wuppertal. Dort lernten sie einen jungen deutschen Mann kennen, der eine Weltreise plante. Weil er eine Übernachtungsmöglichkeit in Indien suchte, gaben sie ihm die Adresse meiner Familie. So traf ich meinen Ehemann. Es war Liebe auf den ersten Blick. Doch wie konnten wir zusammenkommen? In meiner Heimat gab es damals das Prinzip der arrangierten Ehe. So reiste ich mit meiner Mutter nach Wuppertal, um zu schauen, ob der junge Deutsche als mein zukünftiger Partner in Frage kommt. An einem Tag im Januar kamen wir in Vohwinkel an: Der erste Schnee meines Lebens. Und dazu noch diese exotische Schwebebahn. Dann durften wir wirklich heiraten. Und zwar gleich zweimal: einmal in Kalkutta und einmal in Wuppertal. So kam ich nach Deutschland, ohne ein einziges Wort Deutsch zu sprechen. Doch ich bin ein neugieriger Mensch, der Türen einfach aufmacht. Und was soll ich sagen: Die Wuppertaler waren sehr freundlich zu mir. Niemand machte sich über meinen indischen Akzent lustig. Die Hilfsbereitschaft war enorm.

Und doch war es eine schwere Zeit. Oft hatte ich Bauschmerzen. Da bot mir eine Freundin einen Telefonjob in einer Druckerei an. „Da musst du nur zuhören“, sagte sie. Doch schon beim ersten Anrufer war ich empört: „Durchfall“, sagte jemand am anderen Ende der Leitung. Wie bitte? Warum sagte ein Fremder so etwas? Meine Freundin lachte nur. „Durchwahl“, sagte sie. „Dieser Mann wollte eine Durchwahl wissen.“

Dann kam meine Rettung: Ich entdeckte die Deutsch-Indische Gesellschaft. Dort konnte ich endlich wieder tanzen, und so wurde mein Leben immer besser. Auch wenn mein Jurastudium hier nicht anerkannt wurde: Ich arbeitete lange in der Druckerei, jetzt verkaufe ich Gesundheitsliegen. Meine Kinder kamen in Deutschland auf die Welt. Und so wie es für mich in Kalkutta selbstverständlich war, zwischen den Sprachen Hindi, Bengali, Sanskrit und Englisch aufzuwachsen, sprechen meine Kinder jetzt Bengali genauso fließend wie Deutsch. Ich habe ein sehr glückliches Leben, denn ich habe in Wuppertal die Heimat für meine zweite Lebenshälfte gefunden. Und das schönste: Auf einer Party wurde ich als Tänzerin entdeckt. Jetzt stehe ich für das Seniorentanztheater Wuppertal auf der Bühne und erzähle mit leichten Tanzschritten aus meinem bewegten Leben.

Zur Person:
Rita Gupta-Nehring wuchs in einer Großfamilie in Kalkutta auf. Nach ihrer Heirat mit einem Deutschen zog sie 1984 nach Wuppertal. Hier war sie viele Jahre in der Deutsch-Indischen Gesellschaft aktiv.

RITA GUPTA-NEHRING (MITARBEIT DAVID FLESCHEN)

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