Den Namen Fuchsthone gibt es weltweit wohl nur einmal. Er setzt sich schlicht und einfach aus den Nachnamen der beiden Bandleaderinnen Christina Fuchs und Caroline Thon. Diese Wortschöpfung kann getrost im Oberstübchen fest verankert werden. Denn dahinter verbirgt sich ein erst fünf Jahre altes, in Köln beheimatetes Jazzorchester, das unter Einbindung von Geige, Gesang und Electronics über die übliche Bigband-Besetzung hinausgeht. Ihm kann durchaus eine erfolgreiche Zukunft vorausgesagt werden. Zumindest spricht der grandiose Auftritt zusammen mit der renommierten Videokünstlerin Claudia Schmitz im Rahmen der Konzertreihe „Immanuel Goes Bigband“ in der Immanuelskirche dafür.
Wer bereit dazu ist, sich von Hörgewohnheiten – wenn es auch um moderne Klänge des Jazz und der Klassik geht – zu verabschieden und offen ist für mit Bildanimationen Hand in Hand gehende neue, sogar komplex-abstrakte Tonkombinationen, kommt an diesem Abend voll auf seine Kosten. Verantwortlich dafür ist zum einen die Altsaxophonisten und Komponistin Caroline Thon. Die Zusammenarbeit mit Bands größerer Besetzung und Musikern unterschiedlicher kultureller Wurzeln wie das interkulturelle Jazzprojekt Eurasians Unity zeugen von ihren großen Erfahrungen im orchestralen Umgang mit Musik. Sie hat ihre in diesem Jahr vollendete dreiteilige Suite „Space“ (Raum) mitgebracht.
Weder U noch E
Selten zuvor ist eine Kombination aus den unterschiedlichen Jazzstilen tradierter moderner wie ganz freier Art mit zeitgenössischen Kompositionstechniken der E-Musik und geräuschhaften Elementen in einer derart stringenten Form zu Ohren gekommen. Mal changieren sie miteinander, mal wird Kommunikation zwischen ihnen groß geschrieben, mal erklingen sie parallel oder bilden große Gegensätze, mal erklingen manche parallel, werden also übereinander geschichtet. Dabei werden von den Instrumentalisten tradierte wie modernen Spieltechniken verlangt. Die Abgrenzung von U- und E-Musik wird hier ad absurdum geführt. Das Ergebnis sind kammermusikalische, orchestrale Klänge, die streckenweise mit solistischem Spiel interagieren, vom ganz leisen, kontemplativen Piano bis hin zu gewaltigen Klangausbrüchen. Es entfalten sich musikalisch komplexe Räume, von Schmitz visualisiert in Form von an die Apsis gebeamten Straßenschluchten; blicke aus einem Fenster, Fassaden oder im zweiten Satz „Spaces of Fear“ Tunnel zu beklemmend wirkender Musik.
Zum anderen ist es die Klarinettistin, Saxophonistin und Komponistin Christina Fuchs. Sie erwarb ihre Fähigkeiten im Umgang mit großen Formationen, indem sie etwa mit dem United Women’s Orchestra, den Bigbands des NDR und WDR zusammenarbeitete. „Above And Under Water“ (Über und unter Wasser) heißt ihre neue Tonschöpfung, ebenfalls eine dreiteilige Suite, die sie mit im Gepäck hat. Ihre Musiksprache ist weniger komplex, dafür plakativer, klangflächiger, aber genauso schlüssig unter Verwendung von hauptsächlich dem Jazz entnommenen Techniken plus geräuschhaften Anteilen. Es swingt bisweilen latent. Tradiert groovt ein gezupfter Kontrabass. Oder lyrische nonverbale Gesänge und Klangwelten erzeugende Electronics kommen vor. Deren mannigfaltige, geschickte Verknüpfungen führen zu gefühlvollen musikalischen Bildern über und unter dem Wasser sowie um die Wasseroberfläche herum, ebenfalls von Schmitz an die Wand visualisiert. Zu sehen sind beispielweise Meeresschaum, ein Eisberg hinter einem riesigen Gletscher oder Blasen in der Tiefe. Musikalisch kann sich Angst breit machen, wenn zu Beginn die Fahrt auf einer Fähre zu Durchsagen und Geräuschen aus dem Off keineswegs lustig ist. Oder zu chaotischen elektronischen Klängen kommt der Spruch von der Bühne „Wir sitzen alle im selben Boot“, als wenn es um Flüchtlingsschicksale geht.
Im selben Boot
Zu beiden Werken bringt Schmitz spontan zur Musik beziehungsweise in Wechselbeziehung mit den Solisten abstrakte Strichzeichnungen, schnell dahingemalte Schnipsel zu Papier, geometrische Figuren streckenweise gemischt mit den erwähnten Bildern, die exakt zur Musik passen.
Zu Recht zeigt sich das Publikum nach frenetischem Beifall geflasht, teils sprachlos ob des spielerischen und musikalischen Niveaus der Musiker und der beiden Kompositionen. Zum Dank gibt es als Zugabe ein Stück von Thon, dessen Inspirationsquelle eine Violinsonate des in Dresden tätig gewesenen Barock-Geigers und Komponisten Johann Georg Pisendel war. Hier sorgen etwa starke tonale Verfremdungen, eingebettet in flächige Strukturen ebenfalls für ein neues, spannendes Hörerlebnis.
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