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Julia Ferrer Vílchez, Spanien
Foto: Celia Wagner

Jede Ecke der Schwelmer Straße

29. Juni 2017

Julia Ferrer Vílchez ist an mehreren Orten zu Hause – Heimat Wuppertal 07/17

Heimat ist für mich ein Ort oder eine Umgebung, die mir Sicherheit schenkt. Ein Teil der Welt um mich herum, der Bedeutung in meinem Herzen erhält. Dort, wo die Sehnsucht mich aus der Ferne hinzieht und das Herz sich wohlfühlt.

Meine ersten Heimatgefühle verbinde ich mit Wuppertal-Langerfeld, dort habe ich meine Kindheit verbracht. Als Kind lief ich dort bei Tageslicht herum, sprang im Sonnenlicht von Schatten zu Schatten, traf Freunde und machte meine ersten Versuche mit dem Fahrrad auf der Straße.

Die Schwelmer Straße, so hässlich sie auch sein mag, lief ich jeden Tag entlang. Beim Bäcker Brötchen holen, am Kiosk Süßigkeiten, Warten auf den Bus zum Kindergarten, zum Gartenhallenbad, zur Grundschule, zum Besuch von Freunden.

Als Teenager lief ich auch in der Nacht von der S-Bahn-Station bis fast nach Schwelm. Etwas ängstlich manchmal, kannte ich irgendwann jeden Schatten von jeder Wand, so ist mir auch heute die Schwelmer Straße sehr bekannt.

Heimat ist, wenn ich die Hitze spüre und den warmen Asphalt rieche, wenn ich die Menschen laut reden höre und das Geräusch von Motorrädern meine Ohren berührt. Dann fühle ich mich zu Hause, dann habe ich den Flughafen in Málaga verlassen und warte auf den Bus, der mich nach Granada in meine Heimat bringt. Allein die Busfahrt lässt mich aufatmen, wenn alle miteinander reden, während andere draußen noch ihre Taschen in den Kofferraum legen. Dann ist es lebendig und laut, dann ist es chaotisch und schön und dann bin ich zu Hause.

Die Busfahrt ist eine Augenweide, Oliven- und Mandelbäume sehe ich. Weite, Dürre, Hügel und Berge, der blaue Himmel über alldem und dann die Wärme, die fast immer vorhandene Sonne. Meine Eltern sind hier geboren, sie tragen dieses Land in ihrem Herzen und vor allem auch in ihren Gedanken. Diese haben sie mit meiner Schwester und mir geteilt, sie haben uns immer daran erinnert, dass wir Spanier sind. Wir haben auf Spanisch gesprochen und in Wuppertal auch meistens spanisch gegessen. Bis auf meine Eltern leben auch alle Verwandten in Spanien. Jedes Jahr sind wir bei der Familie gewesen, es ist meine Heimat. Alle freuen sich, wenn wir kommen, und sind traurig, wenn wir abreisen.

Heimat empfinde ich auch für Schottland, wo ich mehrere Jahre leben durfte, die Highlands, die Pentlands, Edinburgh, West Linton, Biggar und Syminghton. Ich erinnere mich an den Verlauf der Wolken, ich sehe, wie sie am Himmel kommen und gehen, gleichsam mit den Wellen des Meers gibt es einen Wechsel zwischen Sonne und Regen. Hierdurch ist alles so grün und saftig, immer weht ein leichter Wind und obwohl es oft kalt und nass ist, zieht es immer schnell vorbei. Wenn ich heute nach Schottland fliege, dann freue ich mich so sehr. Ich freue mich auf die Menschen, auf die Natur, das Essen und auch auf die Erinnerungen. Ich freue mich auf die Geschichten, die ich dort erleben durfte, die mich geprägt haben und an die ich mich gerne zurückerinnere.

Heimat schenkt mir Kraft, wenn ich mit dem Rucksack im Flugzeug ins Unbekannte sitze oder mich anderweitig ins Ungewisse begebe. Die Aufregung und Neugier, die dann in mir hochkommt, manchmal auch Angst, die fühlt sich heimelig an.

Heimat hat für mich viele Gesichter.

Zur Person
Julia Ferrer Vílchez wuchs mit spanischem Pass und in einer Spanisch sprechenden Familie in Wuppertal auf. Nach ihrem Studium ging sie für eine Weile nach Schottland, um ihr Englisch zu verbessern.

JULIA FERRER VILCHEZ (MITARBEIT DAVID FLESCHEN)

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