Wo sich in Wuppertal einst Betuchte (a.k.a. Geldsäcke) „zum Zwecke des gepflegten Beisammenseins“ ein schickes Immobilchen bauen ließen, wo hundert Jahre später berühmte Persönlichkeiten wie Thomas Mann aus ihren Werken lesen durften (1920), dort wurde itzo vom Schauspiel Wuppertal Manns Roman „Buddenbrooks“ in die heiligen Hallen injiziert.
Es ist ein surrealer Abend. Vor dem alten Rathaus der Schokoladenmarkt, vor der Gesellschaft Concordia mitten in der Einkaufsmeile von Barmen Männer im Livree und mit Zylinder. Hier unter den zwei nackten Engeln (schicker Faltenwurf) geht’s also hinauf zur Belle Etage der mächtigen hanseatischen Familie Buddenbrook. „Und Sie wollen wirklich hier herein?“ Peng. Falsche Kleidung, denke ich, ich hätte auch die Strickmütze abnehmen können. „Deutsche Lügenpresse“, stammele ich, ein strenger Blick, „konnte ich ja nicht wissen“. Dass er dabei nicht angewidert nach oben schaut, gibt kaum Hoffnung, nochmal Glück gehabt, denke ich, und stolpere mit Karten bewaffnet hinein, die breite Treppe nach oben, an ollen Ölschinken vorbei und – stehe vor den eisernen Namentafeln der Gefallenen beider Weltkriege. Also trotz Turnschuhen Hacken zusammen (aua) und noch eine Treppe, hier tummelt sich bereits das pseudoschicke Wuppertaler Publikum, Sektchen hier, Bierchen da. In diese Räumlichkeiten kommt man ja sonst nur gegen namhafte Eurobeträge und nach der schwarzweißen „Kugelung“, einer frühen Form, sich für oder gegen die Matrix der gehobenen Gesellschaft zu entscheiden. Jetzt darf man vor dem ersten Vorhang durch die Zimmer wandern, in denen Schauspieler Monologe sprechen. Sieben sind es, zwei schafft man, 130 Zuschauer sind als Masse zäher als man denkt. Dramaturgisch ist das natürlich Bullshit, als Museumsschau mit Mega-Humidor im Herren-Raucherzimmer ziemlich interessant. Und so richtig neu ist dieses installative Intro in Theaterabende beileibe auch nicht mehr.
Kommen wir endlich zur Inszenierung im Konzertsaal. Hier herrscht ein fesches Treiben im Wohnzimmer der Familie Buddenbrook. Der Patriarch würdevoll, die Tochter Tony ansehnlich, die Söhne in die eigene Zukunft schauend. Haste was, dann biste was, und die Buddenbrooks haben reichlich.Die Bühnenfassung startet im dritten Teil des Romans. Stephan Müller inszeniert ihn als schnuckelige Boulevardkomödie, es rauscht nur so an den Zuschauern vorbei. Links das Esszimmer, rechts die Bühnentechnik und vor ihnen der offene Balkon mit den Straßengeräuschen des Schokoladenfestes. Das gibt dem Ganzen einen authentischen Charakter. Doch reicht das dummerweise nicht aus. DerNiedergang dieser wohlhabenden Kaufmannsfamilie hat auch inhaltliche Bezüge, die sich aus der gesellschaftlichen Notwendigkeit ergaben, damals bestimmte Konvention über Bord zu werfen, um damit eine neue Zeit einzuleiten – das geht beim choreografischen Hin-und-Her etwas verloren. Einzig Thomas Braus als Thomas Buddenbrook ragt aus der Inszenierung heraus, sein verzweifelter Kampf, mit allen Mitteln das geistige Erbe zu bewahren, ist sehenswert bis in seinen Tod. Den Gegenpart Christian, ein Feingeist mit Hang zum Lebemann, hatMüller dagegen nicht im Griff.Er entgleitet oft der Dramatik seiner Auftritte:„Solange ich denken kann, hast du eine solche Kälte auf mich ausströmen lassen, dass mich in deiner Gegenwart beständig gefroren hat.“ Das kommt irgendwie nicht rüber. Alle anderen leiden besser unter den Konventionen, die immer mehr zum Kerker werden. Und am meisten leiden bei Mann die Frauen, hat er doch seine eigene Geschichte in Lübeck miterzählt.
Nach der Pause geht es mit der Choreografie auf einer Linie weiter. Die nicht gerade innovativen Videoliveschaltungen in andere Räume verkommen leider zum überflüssigen Flachbildschirmdesaster. Doch auch der Niedergang der Familie beschleunigt sich. Die erste Scheidung von Tony (Philippine Pachl) läuft noch locker, doch dann ist der Vater, der Konsul (Stefan Walz) tot. Thomas überkommt der heilige Familiengeist, macht Karriere, schafft die Heirat mit der musikalischen Gerda (Julia Resnik) und doch gerade diese Verbindung löst das Ende der gesamten Dynastie aus. Hanno (Aaron Röll) zieht schon früh einen Schlussstrich ins Familienbuch. Am Ende blättert auch Thomas Buddenbrook eindrucksvoll dahin. „Was könnte ich sein, wenn ich nicht ich wäre.“ Diesen Schlüsselsatz hätten wahrscheinlich alle Figuren im Familiendrama sagen können. Doch der Schluss gehört eben auch dem Ende der Scheinheiligkeit.
„Buddenbrooks“ | R: Stephan Müller | So 6.11., So 4.12. 16.30 Uhr, Sa 19.11., So 20.11. 19.30 Uhr | Gesellschaft Concordia Wuppertal | 0202 563 76 66
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