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Prezident beim „Von Abseits"-Festival 2019
Foto: Jan Turek

„Erstaunlich, dass Gangsta-Rap Mainstream-Musik ist“

26. März 2020

Rapper Prezident über die deutsche Hip-Hop-Szene – Interview 04/20

engels: Prezident, dein für April geplantes Konzert zum Tour-Auftakt in der Börse musste coronabedingt auf den 28.11. verschoben werden. Dafür ist dein neues Album „Alles ist voll von Göttern" auf Platz 7 der deutschen Charts eingestiegen. Ein großer Erfolg für dich?

Prezident: Das hat mich sehr gefreut. Es war der Plan, zu zeigen, dass ich nicht in dem Ausmaß das Sparten-Phänomen bin, als das man mich teilweise sieht. Dazu wollten Vinyl Digital und ich den Erfolg von „Limbus" wiederholen oder toppen und das ist noch besser aufgegangen als erwartet. Wir wussten ja, was an kommerziellem Potential da ist und haben dann mal großzügig die Mechanismen bedient, mit denen sich Charts-Platzierungen holen lassen. Ist ja letztlich auch eine ziemliche Verarsche.

Was sind das für Mechanismen und wo liegt die Verarsche?
Es geht nach Umsatz und nicht nach verkauften Einheiten. Deshalb machen alle Deutschrapper solche komischen, teuren Boxen – was ich immer sehr albern fand. Aber mit den ganzen Free-Download-Sachen, die ich zwischendurch raushaue, habe ich immer noch Material in der Hinterhand und so konnte man in diesem Fall die beiden Teile von „Interesseloses Mißfallen" mit Msnthrp den CDs und Platten schön als Bonusmaterial beilegen. Wenn man dann eine 500er-Auflage von einer 4-fach Vinyl-Box für knapp 50 Euro loswird, dann ist man schon relativ stabil unterwegs, was die Umsatzzahlen angeht. Und wir haben uns eine gute Woche ausgesucht. Ich finde diese deutschrapüblichen dreimonatigen Promo-Phasen – die ja auch den Sinn haben, Vorverkäufe für die entscheidende erste Woche hochzutreiben – eh furchtbar und versuche, das knackiger zu halten. Damit hatten wir als Nebeneffekt noch den Vorteil, abwarten zu können, wann andere veröffentlichen. Und dann kann man sich aussuchen: „Gzuz, Finch Asozial, da will ich dran vorbei", wir releasen eine Woche später. Denn ich weiß, dass die mehr als ich verkaufen. Wir haben uns dann eine gute Woche ausgesucht und so kam das zustande.

Wie würdest du die Sparte, in der man dich sieht, definieren?
Ich war lange Zeit sehr unterm Radar – also vor allem unterm Industrie-Radar. Meine ersten Sachen wurden schon abgefeiert, aber je professioneller in der Szene die Leute waren, desto weniger hat die das gejuckt. Dann habe ich angefangen, das selbstironisch zu thematisieren. So kam dieses Außenseiter- und Untergrund-Image zustande, was allerdings schon länger ein wenig überholt ist: Ich bin natürlich nicht Sido und will es auch nicht sein, aber ich glaube, bei mir läuft es schon besser als bei vielen stärker gehypten Künstlern in meinem Segment. Das wollte ich mit dieser Veröffentlichung klarstellen.

Wenn man dich googelt, steht da, dass du Deutschrapper bist. Damit werden oft zuerst Leute wie Capital Bra, Apache, Kollegah oder die 187 Strassenbande assoziiert. Hast du den Eindruck, in der gleichen Schublade gesehen zu werden?
Ich glaube nicht. Man hat ja schon eine Ahnung, dass Rap sehr divers ist. Dem Mainstream-Publikum sind ja auch zum Beispiel seit Anbeginn von Rap in Deutschland die Fantastischen Vier als bürgerliche Nicht-Ghetto-Rap-Variante präsent, auch wenn in bestimmten Teilen medialer Berichterstattung nur bestimmte Sparten von Rap Beachtung finden – die Hype-Awards, wo ganz ausschließlich diese Eno-Mero-Bero-Szene stattfand, waren da ein krasses Beispiel. Und ein schönes Debakel. Jedenfalls sollte, wer sich auch nur ein bisschen mit Rap befasst, eine Ahnung haben, dass das Genre sehr divers ist. Wenn es heißt, dass jemand deutschen Rap macht, hat man erst mal recht wenige Informationen, weil es ja doch eine große Spannbreite an Stilen gibt.

Du hast mal gerappt, dass du „mit dieser Szene als Bezugsrahmen" nicht zu fassen bist.
Ja, ich würde sagen, ich mach weitestgehend mein eigenes Ding.

Hip-Hop wird auch oft als dumm angesehen. Ist es ja auch teilweise.
Ja, ist es. Aber das ist nicht, wovon ich mich abgrenze. Hip-Hop hat seine Idiotien, aber die hat man überall und ich glaube, egal, wo ich unterwegs wäre, hätte ich das Bedürfnis, aus dem Rahmen zu fallen. Ich hatte in jüngster Vergangenheit mal ein wenig Kontakt zu Theaterleuten, die schienen mir zum Beispiel auch nicht besonders schlau. Du triffst überall auf Klischee-Figuren – und vor mehreren auf einem Haufen gruselt es mir.

Mit deinem universitären Hintergrund entsprichst du jedenfalls nicht dem Klischee eines Rappers.
Naja, so einzigartig ist das jetzt auch nicht. Und mit meiner inhaltlichen und musikalischen Ausrichtung gibt es ja schon eine Sparte oder ein Sub-Genre, in dem man mich verorten und auf Vergleichbares stoßen kann, – auf all die Morlockks und Hiobs und Degenhardts und wer sonst so bei Spotify als ähnlicher Künstler aufgeführt wird. Das ist ja sowas wie eine eigene Szene, die sehr aktiv ist, durchaus auf Beachtung stößt und auch Erfolg hat, völlig wurscht, ob – wie gesagt – manche Teile der Berichterstattung nur andere Teile des Genres abbilden. Umgekehrt kenne ich, der eigentlich immer einen ziemlich guten Überblick hatte, den Großteil dieser Hype-Awards-Modus-Mio-Szene gar nicht mehr. Insgesamt gibt es halt auch einfach mehr und ist es nicht mehr so übersichtlich, wie es mal vor 20 Jahren war.

Braucht Hip-Hop differenziertere Genre-Bezeichnungen? Die existieren zwar, werden aber nur selten verwendet.
Im Gegensatz zu Rock mit all seinen Untersparten ist es schon auffälig, wie musikalisch und inhaltlich komplett unterschiedliche Stile unter der Genrebezeichnung „Hip-Hop" laufen. Du würdest Metallica und The Doors nicht so in einen Topf werfen, wie es im Rap geschieht, wenn Apache und Blumentopf, Roc Marciano und Travis Scott allesamt als „Hip-Hop" gelten.

Foto: Jan Turek

Inwiefern ist deine Musik davon geprägt, dass du aus Wuppertal bist?
Ich weiß nicht, ob Wuppertal speziell meine Musik geprägt hat, aber das Gebiet hier im Westen Deutschlands, zwischen Ruhrpott und Rheingebiet, hat schon einen bestimmten, eher düsteren Sound und eine Art zu rappen mit speziellem Humor und gleichzeitig spezieller Ernsthaftigkeit. Im Berliner Rap zum Beispiel hast du mehr überzeichnete Elemente. Hier ist es eher ernsthaft-künstlerisch.

Auf deinem neuen Album sprichst du vom „Murmeltier", sagst, dass das Publikum immer mehr vom Bekannten hören möchte. Gleichzeitig möchtest du dich weiterentwickeln.
Es gibt diese Tendenz „Mach das nochmal, was du schon mal gemacht hast". Es ist als Rapper schwierig, sich weiter zu entwickeln, sich aber gleichzeitig treu zu bleiben. Die meisten scheitern daran. Sie sind dann ein Album lang gut und dann wird es entweder komisch oder sie bleiben hängen. Eine Weiterentwicklung ohne Entfremdung von dem, was einen mal groß gemacht hat, kriegen nur Wenige hin.

Wie hat sich denn dein Sound im Laufe deiner Karriere entwickelt?
Der Ausgangspunkt war ein eher düsterer New-York-Sound, an Wu-Tang und Queensbridge orientiert, allerdings immer mit dem Bestreben, den nicht einfach zu kopieren. Das ist eigentlich die große Konstante. Man nimmt dann zum Beispiel Industrial-Elemente oder Trip-Hop-Elemente rein, um diesen Film nicht zu reproduzieren. Das habe ich selbst versucht, als ich produziert habe. Aber meine musikalischen Fähigkeiten sind dann doch begrenzt. Dieser Wunsch, etwas anders zu machen, ist auch mal mehr und mal weniger bei den Leuten, mit denen ich zusammengearbeitet habe, durchgedrungen. Mehr etwa bei Dizztorted Views, der hatte einen sehr eigenen Drumsound. Bei Epic Infantry eher weniger: Da ist viel französischer, auch eher düsterer New-York-inspirierter Boom-Bap reingeflossen. Grundsätzlich habe ich zusammen mit meinen Producern immer versucht, Verschiedenes aufzunehmen, aber doch einer Linie treu zu bleiben, die Formel etwas abzuändern – wie es DJ Premier mal gesagt hat: „We update our formula".

Wie unterscheidet sich dein neues Album klanglich von den letzten?
Es ist wieder zugänglicher und knüpft ein Stück weit an „Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte" an, nachdem mein Sound mit „Limbus" und „Du hast mich schon verstanden" bewusst zunehmend sperriger geworden ist. Das neue Album ist melodiöser, hat mehr und stärkere Refrains, ist insgesamt musikalisch vielseitiger und offener – ohne Gefahr, auch nur ansatzweise ins Poppige abzudriften.

Im Verlauf deiner Karriere haben dich unter anderem Charles Bukowski, Franz Kafka und de Sade inspiriert. Welche Inspirationen gab es fürs neue Album?
Für dieses Album könnte ich nichts konkret nennen an alleine entscheidenden Inspirationen. Als ich 2005 den Sprung von den Battlerap-Sachen als EMP zu Prezident gemacht habe, waren Tom Waits und Bukowski ganz klar große Vorbilder und Inspirationen. Aber jetzt hab ich meine künstlerische Identität, mein Repertoire, gewissermaßen einen Grundbestand, der den Prezident-Kosmos ausmacht. Das wird von keinem neuen Einfluss mehr auf links gedreht.

Foto: Jan Turek

Was hat es mit den beiden „Zitadelle"-Tracks auf sich, die sich irgendwo zwischen Utopie und Dystopie bewegen?
„Zitadelle, Zentrum", Teil 1, ist eine Utopie, die wie eine Dystopie klingen soll. Wichtig war mir vor allem, dass kein Sarkasmus und keine Übertreibung ins Negative stattfinden; dass vor allem das, was die Stahlfrau sagt, erst mal jeder unterschreiben würde: das aufklärerische Bewusstsein. Track 1 schildert eine perfekte Welt. Der Gag ist dann in „Zitadelle, Peripherie", also Teil 2, dass diese perfekte Welt so langweilig ist, dass die Leute dann doch ins Ghetto oder Halb-Ghetto ziehen, wo es das Klo auf halber Treppe gibt und alles ein bisschen archaisch ist; dass gerade die Gebildeten und Zivilisierten aus dieser utopischen Welt das dann hemmungslos romantisieren. Das ist natürlich ein Kommentar zu dieser Anziehungskraft etwa von Berlin auf Vorstadtjugendliche und ein bisschen auch Fortsetzung zu „Über zwei verschiedene Arten des Gutseins", wo es ja auch um die unreflektierte Idealisierung des „noblen Wilden" geht. Allerdings ist es diesmal keine Polemik, sondern einfach Darstellung: eine ambivalente Zeichnung eines modernen Widerspruchs, über die nichts hinausgehen muss. Es muss keine abschließende Bewertung erfolgen.

Dystopien gehen von einem Ist-Zustand aus, der kommentiert und kritisiert wird. Wird auch die Dualität zwischen Wohlstand und Armut, zwischen Erster und Dritter Welt, thematisiert?
Ja.

Und geht es in „Zitadelle, Peripherie" um Menschen, die in behüteten Verhältnissen aufwachsen, dann aber Gangsta-Rap hören, um sich hart zu fühlen?
Sicher, das passt zu Rap sehr gut. Wobei es nicht speziell um Rap geht, sondern grundsätzlich um die Romantisierung des sozial Randständigen als das Authentische, Echte, um den Widerspruch, dass der moderne, zivilisierte Mensch mit zunehmender Aufklärungsarbeit und zunehmender Friedfertigkeit bestimmte delinquente Verhaltensmuster verbannt, aber gleichzeitig das Unzivilisierte abfeiert. Das ist nicht rapspezifisch: Seit der Menschenkunde des 18. Jahrhunderts ist eine Beschäftigung mit dem Randständigen, dem Abseitigen und dem Bösen zu beobachten, die darauf hinausläuft, dieses zu romantisieren und als das eigentlich Menschliche zu nehmen. Nach dem Motto: „Da, wo die Defizienz ist, wo etwas schiefläuft, da ist das wahre Leben". Das hat etwas von einem Dekadenz-Phänomen. Gangsta-Rap ist aber vielleicht die Entertainment-Sparte, die das in die erstaunlichsten Höhen treibt. Stell dir vor, du hast eine Zeitmaschine und guckst dir an, was 1990 in den Charts war, und dann gehst du ins Jahr 2020 oder 19 und guckst da, welche Texte es im Mainstream gibt. Ich rede nicht von irgendwelchen Satanisten-Metal-Bands, die 500 Platten verkaufen, sondern von dem, was wirklich millionenfach gehört wird. Und das ist dann so ein Gzuz, mit absolut asozialem Kram. Wenn du dir von einem Gzuz-Album die Texte durchliest, ist es schon erstaunlich, dass sowas Mainstream-Musik ist, Gangsta-Rap ist überhaupt ein bemerkenswert unhinterfragt hingenommenes Phänomen. Gleichzeitig zeigen die ja dann immer wieder aufflackernden, aber recht speziellen und kleinteiligen Diskussionen um Frauenfeindlichkeit und Homophobie, dass man mit diesen Widersprüchen nicht umgehen kann, weil gerade Rap-Journalisten sich nicht eingestehen wollen: Das Romantisieren der Barbarei gehört zum Projekt Aufklärung als dunkle Seite dazu. Mit seinem Political-Correctness-Schub hat sich Deutschrap-Journalismus in den letzten fünf Jahren in eine Bredouille manövriert.

Foto: Jan Turek

In „Jamais-Vu" sprichst du von Beziehungs-Problemen. Kannst du etwas zu den Hintergründen sagen?
Im biografischen Sinne? Der Track ist über einen ziemlich langen Zeitraum rum entstanden und hat mehrere Beziehungen überlebt. Natürlich fließt da eigenes Erleben ein, aber so wie manche Rapper, die ich kenne, die ihre Texte so tagebuchartig-authentisch halten, arbeite ich nicht. Wenn es im Text anders, als es wirklich gewesen ist, besser kommt, dann schreibe ich so, wie es für den Song am besten ist. Wenn ich zum Beispiel das Sturheitsmoment stärker herausstellen will, dann ist es mir wurscht, ob Sturheit in der echten Beziehung auch so ein Problem war.

„Ein Toast" ist ein weiterer bemerkenswerter Track. Wie kommst du auf die Bildlichkeit in deiner Sprache?
Eigentlich ist es ein klassisches, antiquiertes Erzählideal, Dinge plastisch und detailliert zu beschreiben, wie in einem Thomas-Mann-Roman. Von da aus hat man einen schönen Ausgangspunkt, ein wenig wie Doppelkopf früher durch Anthropomorphisierung des Abstrakten ins Absurde abzudriften: „Schönen guten Tag Erinnerungen, bleibt Ihr noch zum Essen". Die Erinnerungen werden lebendige Personen und versammeln sich um den Wirt, der einen Toast spricht und dabei verblutet. Ich weiß aber selbst nicht, was das bedeuten soll. Es geht mehr darum, dass Atmosphäre entsteht. Eigentlich war der Track übrigens als dritte Strophe zu „Antimidas" geplant.

Texte sind oft nicht eindeutig zu interpretieren und man weiß nicht, was sich der Künstler gedacht hat. Gibt es ein Richtig und ein Falsch bei deiner Kunst oder liegt alles im Auge des Betrachters?
Es gibt kein „Richtig", aber es gibt viele „Falsch". Das würde ich zumindest als Germanist sagen. Es gibt sicherlich Lesarten, die eindeutig falsch sind, weil der Text es einfach nicht hergibt. Genaues Lesen bzw. Hinhören ist ja schon ein stark unterschätzter Arbeitsschritt und eine wenig verbreitete Fähigkeit. Es gibt unendlich viele verschiedene Interpretationen und Lesarten und keine „richtige" in dem Sinne, dass damit alle anderen ausgeschlossen würden, allein schon deshalb, weil sich Texte – wie alles andere – auf ganz verschiedene Aspekte hin untersuchen lassen. Und Kunst sollte eigentlich immer mehrere Bedeutungsebenen haben und vielfältige Zugänge zum Subjektiven bieten. Eindeutigkeit ist was für Bedienungsanleitungen.

Im Hip-Hop gilt Authentizität als ein hoher Wert. Es heißt „Keep it real". Gleichzeitig lernt jedes Kind in der Schule, den Autor vom lyrischen Ich zu trennen. Wie viel Viktor steckt in Prezident?
Ich würde da nicht trennen im Sinne einer Kunstfigur, eher ist Prezident Viktor in einem bestimmten Sprechmodus. Man könnte es vielleicht auch mit sozialen Rollen vergleichen: Du bist ja als Sohn ein anderer Mensch als du als Liebhaber bist. Das, was ich künstlerisch mache, ist eine bestimmte Facette meinerseits. Dazu kommt natürlich noch, dass es künstlerisch aufbereitet wird. Ich schlüpfe aber nicht in eine Rolle als Kunstfigur. Ich schlüpfe nicht in ein Kostüm, wenn ich auf die Bühne gehe und bin jemand anders, wenn ich wieder runter gehe. Das mit dem lyrischen Ich ist was anderes: Dabei handelt es sich ja vor allem um ein heuristisches Mittel – anstelle naiv Autor und Sprechinstanz eines Textes in eins zu setzen und zu meinen, es spreche Goethe zu einem, wenn man ein Goethegedicht liest, trennt man da erstmal und konzentriert sich darauf, was im Text steht. Da ist die Trennung tatsächlich nicht so klar: Allein aufgrund der Epoche und dem Weltwissen, das man im 20. Jahrhundert hat, schreibt Günter Grass anders als Goethe – beziehungsweise liest man einen Text von Grass anders als einen von Goethe.

Foto: Jan Turek

Eines deiner Alben hieß „Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte". Andererseits hast du mal von „Angst vor der Bedeutungslosigkeit" gerappt und, dass es „Pissen in den Ozean" sei, Alben herauszubringen, weil so inflationär viele erscheinen. Bist du also enttäuscht?
Ja doch, die Stimmung gibt es. Man steckt sehr viel Arbeit rein und objektiv verschwindet dein Release im Meer der Veröffentlichungen. Du gehst aber natürlich trotzdem auf Tour und hast Spaß, das ist dann halt ne andere Stimmung.

Du bezeichnest dich am Ende des Albums als „gottloser Spottvogel". Schon seit einigen Jahren gibst du dich desillusioniert, nihilistisch, zynisch und belächelst politischen Aktivismus. Warum?
Ich würde zunächst mal sagen, dass ich vor allem Aktionismus belächel beziehungsweise allermeistens nicht mal Aktionismus, sondern Symbolismus und Gelaber. Journalisten scheint es wahnsinnig schwer zu fallen, das zu begreifen. Das scheint so eine Déformation professionnelle zu sein: Da Journalisten Menschen sind, deren berufsmäßiges Mittel der Wahl das Wort ist, neigen sie dazu, die Macht des Wortes zu überschätzen. Ich teile diesen überspannten Glauben nicht und ich finde diesen in Zeiten von Social Media so virulenten Symbolaktivismus – Position beziehen, Zeichen setzen, die „richtige" Meinung nochmal besonders laut aussprechen, niederschreiben oder posten, das sogenannte Virtue Signaling also – schlichtweg affig. Und im Übrigen erscheinen mir „böse" Meinungen auch reichlich überbewertet. Menschen, die pro irgendwas sind, aber nichts tun, als mit ihrem Arsch auf der Couch zu sitzen und ihr Prosein zu twittern, hassen Menschen, die contra irgendwas sind, aber nichts tun, als mit ihrem Arsch auf der Couch zu sitzen und schlimmstenfalls ihr Contra zu twittern. Das ist doch lächerlich. Des Weiteren bin ich skeptisch gegenüber utopischem Denken. Man könnte sagen, ich bin konservativ, nach dem Luther-Wort „Es ist leicht, die Welt zu verändern. Es ist schwer, sie zu verbessern." Man kann sicherlich was in seinem Nahbereich verändern, sich nicht wie ein Arschloch gegenüber seinen Nächsten verhalten und sicherlich einiges in seiner Gegend zum Besseren verändern, einen Sportplatz bauen oder sowas für die Kids in der Nachbarschaft. Darüber hinaus wird's halt schwierig. Da sehe ich eben die Kompliziertheit und Undurchsichtigkeit dieser Welt und die Grenzen planmäßigen guten Handelns. Das heißt nicht, dass es nichts gäbe, wofür es sich nicht zu kämpfen lohnte und Situationen, in denen man kämpfen kann. Aber unserem modernen Zeitalter ist der Glauben an eine quasi unbegrenzte Gestaltbarkeit der Welt eigen, den ich nicht teile. Dass es geradezu anstößig zu sein scheint, diesen Glauben in Zweifel zu ziehen, macht es spaßiger, den Zweifler zu spielen.

Würdest du sagen, dass du politisch bist?
Nein, ich denke nicht. Ich beobachte und oft gehen meine Beobachtungen über das aktuelle Geschehen hinaus und sind ein bisschen welt- und auf jeden Fall zeitfremd.

Demnach ist auch an dem Vorwurf, dass du rechts bist, nichts dran, der nach deinem letzten Album aufkam?
So, wie er gemeint ist, ist er natürlich Unfug.

Was heißt denn „So, wie er gemeint ist"?
Überall da, wo es dann mal konkreter wurde, schien es mir um Positionen zu gehen, die ich nicht vertrete, die mir auch weit weg von dem erschienen, was man aus dem Album herauslesen konnte – wobei rap.de-Skinny mit seiner Rassismusunterstellung und der absurd-umständlichen Beweisführung dazu den Vogel abgeschossen hat. Da sind viele Assoziationen quer geschossen, wobei ich mich darüber schlecht beschweren kann, denn schließlich ging es mir ja genau darum mit dem „bösen" Album – größtmögliches Unbehagen zu erzeugen mit Kritik an Selbstverständlichkeiten im Medienzirkus um Rap und darüber hinaus. Es ist denn auch bezeichnend und logisch, dass die Vorwürfe im Regelfall wenig konkret geworden sind und dass ein unbestimmtes Raunen das ist, was heute noch übrig ist von ihnen. Hauptziel meines Spottes war ja, das Allerweltlinke von Medienakteuren und Kulturschaffenden – dieses Getue, als sei basalstes Gerechtigkeitsempfinden oder das Hantieren mit Begriffen wie „Menschlichkeit" und „Empathie" – schon links und somit sowas wie ein politisches Bewusstsein. Wer so denkt, muss natürlich Spott an diesem Linkssein für rechts halten und diffamiert, ohne es zu bemerken. Für mich ist das aber alles nicht links, sondern als prätentiöse Aufblähung von Selbstverständlichkeiten schlichtweg albern. Und solange das Mainstream ist, scheint es mir lohnenswert, sich darüber lustig zu machen.

Wenn also der allgemeine Mainstream rechts wäre, würdest du dich gegen rechts äußern?
Ja, das sowieso. Ich hab mich ja auch schon gegen eher rechtsassoziierte Positionen geäußert: gegen Patriotismus, Obrigkeitsglaube, 50er-Jahre-Familienideale und diesen im Rap ja sehr verbreiteten Heilige-oder-Hure-Diskurs. Das lässt sich ja alles in meinem Œuvre finden.

Foto: Jan Turek

Du hast deine Musik „Whiskeyrap" genannt. Trinkst du davon noch immer viel?
Ach, Whiskey trinke ich schon seit Jahren kaum noch und ansonsten auch bedeutend weniger als vor zehn Jahren. Mittlerweile habe ich ja auch ein Kind. Da kann man nicht mehr so viel trinken. Wenn man weiß, dass man eh nicht ausschlafen kann, kann man auch nicht bis drei Uhr morgens saufen.

Holt dich jetzt das Spießerleben ein, vor dem du dich immer so geekelt hast?
Das ist einem sowieso immer auf den Fersen. Aber ich meinte nie, dass ein Kind zu haben, grundsätzlich spießig ist. Auch habe ich mich stattdessen immer gegen diese Ansicht gewehrt, dass das Leben vorbei sei, wenn man ein Kind hat. Man muss nicht plötzlich komplett abstinent werden und sich verbeamten lassen.

Du hast als Dozent an der Uni gearbeitet. Ist das nochmal geplant?
Ne. Damit das Sinn ergibt, müsste ich mich an meine Doktorarbeit setzen. Und auch wenn ich darauf durchaus Bock hätte, habe ich dafür keine Zeit. Ich habe Germanistik und Geschichte auf Lehramt studiert und könnte ins Referendariat gehen, wenn ich will. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht will. Ich habe keine Lust, Lehrer zu sein. Darauf, an der Uni zu arbeiten, prinzipiell schon. Aber das ist ein Existenztod, wenn du es nicht auf einen Lehrstuhl schaffst. Du kannst im akademischen Mittelbau sehr gut versacken. Du kannst vom Wissen her auf das Level eines Professors kommen und trotzdem keine feste Stelle haben. Und unbefristete Stellen abseits der Professuren gibt es echt wenige.

Aber du arbeitest nebenbei noch als Koch?
Das ist auf jeden Fall ein Ding, das Spaß macht. Da ich viel zuhause mit dem Kopf arbeite, wollte ich einfach mal wieder was Manuelles außer Haus arbeiten.

Im vergangenen Jahr hast du einige Projekte veröffentlicht. Erwartet uns in diesem Jahr noch mehr von dir?
Ein Album mit Hinz & Kunz, komplett produziert von Jay Baez, ist weit gediehen und könnte Herbst oder Winter kommen, wenn wir uns ranhalten. Mal schauen, ob wir das tun.

Denkst du ans Aufhören?
Ne. Ich habe mir zwar immer mal wieder gedacht „Eigentlich könnte es jetzt auch vorbei sein", aber ich hab dann doch immer was gefunden. Aktuell wüsste ich nicht, was ich nach dem Hinz-&-Kunz-Ding solo machen sollte, aber ich denke doch, das wird sich entwickeln.

Interview: Jan Turek

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