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Ulrich Rasch
Foto: Jan Turek

„Wir müssen uns organisieren und solidarisch sein“

09. Juni 2020

Jazzpianist Ulrich Rasch über die Not der freien Szene – Interview 06/20

engels: Hallo Ulrich, mit welchen Projekten bist Du als Jazzpianist aktiv?

Ich habe seit vielen Jahren mein eigenes Trio, wo in der Regel Hendrik Gosmann Kontrabass spielt und Peter Funda Schlagzeug. Das kann aber auch mal wechseln. Das ist im Jazz durchaus üblich. Darüber hinaus spiele ich in unterschiedlichen Besetzungen. Das sind nicht unbedingt immer Projekte, die ich selbst initiiert habe. Wir veranstalten einmal im Jahr, am 23.12., die „Xmas Soulnight“ und mit der „Soulnight Band“ spielen wir über das Jahr verteilt auch einige Konzerte.

Außerdem bist Du Teil des Kabarett-Projektes „Talfahrt“.

Ja, mit den beiden Kabarettisten Jürgen H. Scheugenpflug und Jens Neutag mache ich seit zehn Jahren einen satirischen Jahresrückblick für Wuppertal. Damit nehmen wir in Wort, Bild und Musik politisch und gesellschaftlich hier alles aufs Korn – wobei wir in Wuppertal ja nicht lange auf passende Themen warten müssen: Alleine die teils skurrilen Ereignisse der ersten Wochen des Jahres um den WSV würd<en schon ein halbes Programm füllen. Die Talfahrt hat sich schnell vom Geheimtip zum echten Renner entwickelt: Wir spielen mittlerweile von Mitte Dezember bis Ende Januar 12 Termine quer durch die Stadtteile und erreichen damit knapp 2.000 Zuschauer.

Und du bist Veranstalter.

Mit meinem Veranstaltungsbüro „UR-Werk“ beschäftige ich mich sowohl mit der inhaltlichen wie auch der technischen Planung und Durchführung unterschiedlicher Veranstaltungskonzepte. Von der jährlichen „Sportmeisterehrung“ oder „Wirtschaftspreisverleihung“ in der Sparkasse bis „Musik im Nordpark“. Das fällt zwar in diesem Jahr leider aus, hat sich aber in den vorangegangenen vier Jahre als tolles Event für die Barmer Nordstadt und den Nordstädter Bürgerverein als Veranstalter etabliert. Dafür habe ich sowohl das Programm entwickelt als auch die Technik zur Verfügung gestellt. Anfang 2013 haben wir den Verein „Open Sky e.V.“ gegründet. Die Aussage „Music is an open sky“ wurde von Peter Kowald geprägt, einer der Ikonen des Free-Jazz und ein Urvater der Wuppertaler Jazzszene. Dieser Satz wurde zum Titel unserer „JazzSession“, die seit 1992 mit ca. 18 Terminen im Jahr stattfindet. Damit wollten wir schon damals deutlich machen, dass die Jazzsession die Türen für alle (Jazz-)Musiker öffnet und innerhalb dieses Genres alle Spielarten vertreten sein dürfen und sollen. Die gleiche Idee stand bei der Gründung des „OpenSky e.V.“ im Vordergrund, mit dem wir ehrenamtlich inzwischen die „Wuppertaler Jazzsession“ oder das „Wuppertaler Jazz-Meeting“ aber auch Einzelveranstaltungen organisieren und durchführen.

Gibt es aktuelle Informationen zum „Wuppertaler Jazz-Meeting“?

In jedem Jahr ist das große Jazz-Festival unser größtes Projekt. In diesem Jahr wird es aber wohl zumindest nicht in der geplanten Form stattfinden können. Das ist umso trauriger, weil wir für dieses Jahr einen radikalen Umbruch geplant hatten: Anstatt 3 Konzerttage an einem Ort, haben wir für Ende Oktober 2020 erstmalig eine „Jazzwoche“ geplant. So sollte das Jazzmeeting samstags mit einem JazzClub-Konzert im Loch beginnen und am darauffolgenden Samstag mit einem großen Abschlusskonzert im Barmer Bahnhof enden. In den Tagen dazwischen sollten, jeweils in Kooperation, Konzerte im Ort, in der Bandfabrik, im Bürgerbahnhof Vohwinkel, im Kontakthof und bei Knipex stattfinden. Da wir das Konzept aufgrund der Corona-Krise in diesem Jahr so wohl nicht umsetzen können, arbeiten wir zurzeit. an Alternativen. Es ist also noch nicht entschieden, ob wir das, unter dem Motto „Let’s work together“ stehende, Jazzmeeting in einer alternativen Form durchführen oder komplett um ein Jahr verschieben werden. Auch die „JazzSession“ musste ja im Café Ada abgesagt werden. Nachdem sie am 9. März noch stattfinden konnte, haben wir den monatlichen Termin im April und Mai in der Hasenschule über das Portal „Live-aus-Wuppertal“ als Video im Livestream gesendet.

Wie trifft Dich persönlich Corona?

Wie bei allen anderen Musikern auch, wurden alle geplanten Konzerte abgesagt und Projekte, die in Planung waren, wurden nicht weiterverfolgt. Das Konzertespielen ist von einem auf den anderen Tag weggefallen und die Perspektive ist ungewiss. Diese Absagen betreffen auch mein Veranstaltungsbüro. Alle Veranstaltungen mussten abgesagt werden. Das hat zur Folge, dass einige Mitarbeiter jetzt Kurzarbeit machen müssen. Die Umsatzeinbußen sind schon enorm. Darüber hinaus hatte ich auch geplant, im März endlich mit dem Trio meine Stücke im Studio aufzunehmen. Im vergangenen Jahr hatten wir schon einige Konzerte dieses Programms live gespielt. Leider hat uns Corona auch hier einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich hoffe, dass wir das bald, vielleicht schon im Sommer, schaffen werden.


Ulrich Rasch, Foto: Jan Turek

Du bist gut in der Wuppertaler Musik- und Kulturszene vernetzt. Wie wirkt sich die Corona-Situation allgemein auf die Künstler aus?

Das Spektrum reicht von Schockstarre bis zu blindem Aktionismus. Es ist für alle Künstler – egal ob Musiker, Tänzer, Schauspieler oder andere Bühnenkünstler – natürlich ein hundertprozentiger Einschnitt. Es bleibt nichts übrig. Die Einnahmen sind weg. Da der überwiegende Teil – vor allem in der freien Szene – wenig Puffer und Rücklagen hat, wirkt sich das katastrophal aus. Leute, die sowieso mit einem knappen Budget auskommen müssen, haben auch keine Chance, sich etwas zurückzulegen.

Wie stehst Du zu Streaming-Angeboten wie „Live aus Wuppertal“ oder „Stew.one“?

„Live-aus-Wuppertal“ war schon sehr früh, in Wuppertal als erstes Portal mit dem Angebot da.
Mit den Machern, Jonathan Rabanus und Martin Müller stehe ich von Beginn in einem engen Kontakt. Wir kennen uns schon lange und haben bei einigen Events zusammengearbeitet. Im Internet zu streamen ist zwar nichts Neues. Das wurde auch schon vor Corona gemacht. Allerdings habe ich das auf einem derartig hohen technischen Niveau, wie es aus der Hasenschule kommt, bisher noch nicht gesehen. Da sind Ton und Bild einfach top. Und das ist gerade für Musikübertragungen extrem wichtig. „Stew.one“ wird ja von Utopiastadt e.V. betrieben und versteht sich als Plattform für Kunst- und Kulturschaffende, die hier in Form eines Solidarpaktes zusammenarbeiten. Über die gestreamten Inhalte vereinnahmte Gelder werden dabei anteilig an die ausführenden Künstler, beteiligte Veranstaltungsorte und den Notfallfonds „EinTopf“ verteilt. Stew.one hatte eine längere Anlaufphase, läuft aber mittlerweile täglich mit vielen tollen Formaten. Die Konzerte aus der Hasenschule werden teilweise auch über „stew.one“ gesendet, die beiden Portale bilden keine Konkurrenz zueinander, sondern ergänzen sich eher. Wobei in Zukunft noch bessere Absprachen sinnvoll wären, um nicht mit ähnlichen Programmen zeitgleich auf Sendung zu gehen.

Hast du Forderungen an die Politik?

Grundsätzlich finde ich, dass es die Politik in Deutschland zunächst gut gemacht hat. Das Krisenmanagement hat schnell reagiert und nachvollziehbare Entscheidungen getroffen. Was ich schwierig fand und finde, ist die Sache mit der Soforthilfe für Freischaffende und Soloselbstständige: Die ist unglücklich verlaufen, was den Informationsfluss anbelangt. Seit einigen Wochen wird massiv die Debatte geführt, wie es jetzt nach der Soforthilfe weitergeht: Künstler, die keine Einnahmen mehr haben, sollen in Hartz IV gehen. Darüber kann man sich streiten. Es wurde Künstlern untersagt, aufzutreten und so Geld zu verdienen. Unverschuldet. Das ist quasi ein Berufsverbot. Und der Unmut über den Umgang mit den vielen Kulturschaffenden ist verständlich und berechtigt: Während zum Beispiel Angestellte selbstverständlich in Kurzarbeit gehen können und große Firmen mit großer Unterstützung durch den Staat rechnen können, werden freischaffende Künstler und Soloselbstständige auf ein Existenzminimum gezwungen, mit dem viele nicht überleben können. Da muss die Politik sich also dringend noch deutlich mehr bewegen und bemühen, zu verstehen, wie Kulturschaffende und andere Soloselbstständige der Kreativbranche arbeiten und aufgestellt sind.

Was wären denn Deiner Meinung nach das Worst-Case- und das Best-Case-Szenario, wie Corona die Kunst- und Kultur-Szene nachhaltig verändern könnte?

Der Worst-Case wäre, dass sich die Suche nach Impfstoffen und Heilungsmöglichkeiten noch länger zieht, als bisher angenommen und es sich noch länger als bis ins kommende Jahr zieht. Das wäre für die gesamte Gesellschaft, aber besonders die Künstler, sehr hart. Aber selbst unter der günstigen Prognose, dass es zum Beispiel Ende des Jahres einen Impfstoff geben würde, wird das Leben der Künstler und Kulturschaffenden doch ganz anders werden, als es vorher war. Streaming-Angebote werden gerade – notgedrungen – kultiviert. Ich glaube nicht, dass sich die Live-Szene wieder so etabliert, wie das früher mal der Fall war, weil sich die online- bzw. Livestreaming-Angebote auch etablieren werden.

Wie kann die Kunst- und Kulturszene darauf reagieren?

Wie anders die Situation nach der Krise sein wird, hat meiner Meinung nach viel damit zu tun, wie sich die Szene jetzt untereinander vernetzt, solidarisiert und organisiert, um dafür zu sorgen, dass für Auftritte auch akzeptable Honorare gezahlt werden. Das Problem gab es allerdings auch schon vor Corona: In den letzten Jahren hat in der freien Szene ein heftiges Preis-Dumping stattgefunden. Hutkonzerte gibt es an jeder Ecke. Es hat sich ein extrem niedriges Eintritts- und Gagenniveau etabliert und das hat auch dazu geführt, dass mit Corona eine Riesen-Szene buchstäblich von heute auf morgen platt war. In anderen Bereichen sind Freiberufler, wie zum Beispiel Rechtsanwälte, Zahnärzte, Gutachter oder Psychologen in Verbänden organisiert. Die haben alle ihre Vorgaben oder Gebührenordnungen wie über Stundensätze abgerechnet wird. Ein direkter Vergleich mit Künstlern ist zwar schwierig, denn genauso geht’s in der Kultur sicher nicht, aber es gibt ein paar Dinge, die sich die freie Szene von anderen Branchen abgucken muss. Und dazu gehört meiner Meinung nach eine Einigung auf Mindeststandards bei Eintrittsgeldern, Gagen, Lizensierung gestreamter Musik oder anderer kreativer Leistungen, aber auch bei Honoraren für Unterrichtstätigkeit. Da aber zum Beispiel die meisten Musiker nicht in Interessenvertretungen wie der DJU (Deutsche Jazzunion e.V.) oder anderen organisiert sind, wird das wahrscheinlich schwierig.


Ulrich Rasch, Foto: Jan Turek

Wie könnten solche Strukturen konkret aussehen?

Ich würde nicht so weit gehen, dass Musiker zwingend eine feste Verbandsstruktur brauchen, mit Gebührenordnung und so was. Aber es wäre schon sehr sinnvoll, wenn alle, die sich in dem Gebiet tummeln, zumindest die Grundlagen von kaufmännischem und unternehmerischem Denken und Handeln vermittelt bekommen. Das ist zum Beispiel auch durch Einrichtungen wie die DJU möglich, wo man sich einfach Hilfe holen kann. Die meisten Künstler machen den Fehler, dass sie nicht richtig kalkulieren. Wenn Musiker für einen Auftritt in einem Club jeweils 85 Euro Gage bekommen – das ist eine Größenordnung, die durchaus üblich ist –, ist ein Auftritt in einer 60 Kilometer entfernten Stadt unwirtschaftlich. Auch für 110 Euro rechnet sich das nicht. Damit geht man mittelfristig auf jeden Fall unter. Denn selbst wenn man es damit zwar schafft, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, ist der Aufbau von Rücklagen und notwendiger Vorsorgeleistungen oder die Finanzierung von sinnvollen Versicherungen für Selbstständige damit unmöglich. Ganz zu schweigen davon, wenn auch noch Familiengründung und damit verbundene wirtschaftliche Notwendigkeiten dazu kommen. Den anderen meist freiberuflich tätigen Berufsgruppen passiert das nicht. Ich habe noch keinen Anwalt oder Zahnarzt getroffen, der „auf Hut“ arbeitet oder einen Handwerker der gesagt hätte „Och, gib mir einfach 17 Euro die Stunde“.

Selbstständig zu sein ist immer mit einem gewissen Risiko verbunden.

Es gibt zum Beispiel Juristen, die sich nicht zutrauen, freiberuflich, selbstständig zu arbeiten. Die würden niemals eine Anwaltskanzlei eröffnen, weil sie das Unternehmertum, das automatisch damit verbunden ist, nicht können oder nicht wollen. Die sind dann zum Beispiel bei Versicherungen oder bei Banken in der Rechtsabteilung fest angestellt oder arbeiten in der kommunalen Verwaltung, beim Land, beim Bund oder bei Gericht. Egal, in welchem Beruf ich selbstständig tätig sein will: Ich komme nicht daran vorbei, mich auch kaufmännisch und als Unternehmer zu betätigen. Es geht nicht ohne. Wenn ich das als Künstler grundsätzlich ablehne, nicht will oder kann, muss ich irgendwo eine Stelle an einer Musik-, Theater-, Kunstschule anstreben oder fest angestelltes Mitglied in einem Orchester, Theater- oder Tanzensemble werden. Oder ich wende mich an eine Künstleragentur, die mich vermittelt. Dann muss ich aber damit leben, dass die einen guten Teil meiner Gagen einbehalten, weil sie dafür sorgen, dass ich Auftritte habe. Das möchten die Künstler aber oft auch wieder nicht, zum Beispiel weil die Gagen sowieso zu niedrig sind und dann noch weniger übrig bleibt: Die Katze beißt sich also in den Schwanz.

Kann die Krise den nötigen Sinneswandel anstoßen?

Ich hoffe, dass am Ende allen Künstlern und Kreativen klar wird: „Wir müssen uns organisieren, uns gegenseitig stützen und solidarisch miteinander sein. Wir dürfen uns nicht gegenseitig über Preise und Gagen ausstechen. Wir müssen dafür sorgen, dass realistische Eintrittsgelder vom Publikum akzeptiert werden.“ 5 Euro oder 8 Euro Eintritt: Das reicht nicht – egal, um was für eine Veranstaltung es geht. Wenn ich mit einem Quartett in einem Club mit 100 Plätzen spiele, und möchte für den Auftritt eine halbwegs realistische Gage haben: zum Beispiel 300 Euro pro Musiker, also 1.200 Euro netto, dann müsste der Eintrittspreis schon bei ca. 20 Euro liegen, um alle Nebenkosten wie Techniker, Technik, Betriebskosten, Werbung, Plakate, Gema, KSK usw. davon finanzieren zu können. Das ist annähernd das doppelte eines in Wuppertal in etwa akzeptierten Ticketpreises für ein Clubkonzert. Und ob überhaupt 100 Gäste kommen, ist dabei noch fraglich.

Du hast Hutkonzerte angesprochen. Zahlungsbereitschaft hängt auch mit Wertschätzung zusammen. Glaubst du, dass sie nach Corona steigen wird?

Ich glaube zwar nicht, dass man Hutkonzerte verbieten kann und sollte. Letztlich liegt es aber in den Händen der auftretenden Musiker und der Clubbetreiber. Die müssen in Abwägung aller Faktoren eine gemeinsame Entscheidung treffen. Wenn man Kunst und Kultur „als Wert“ einschätzt, müsste man den Erschaffern auch eine angemessene Vergütung zugestehen. Wer Live-Konzerte mag und besucht, muss dafür Eintritt bezahlen. Ich würde mich also freuen, wenn sich Hutkonzerte durch eben diese Abwägung von sich aus verbieten würden. Und ich hoffe, dass es die Menschen nach einer langen Zeit der Entbehrung den Stellenwert von lebendiger Kultur für sich erkennen und mit Begeisterung aufnehmen werden, wieder echte Musiker live von einer Bühne zu sehen.

Interview: Jan Turek

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