Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
25 26 27 28 29 30 1
2 3 4 5 6 7 8

12.581 Beiträge zu
3.810 Filmen im Forum

Alltag und Ereignis, genau gesehen

29. April 2012

Ausstellung von Karl Röhrig – Wupperkunst 05/12

Ist dies nun – mit der geringen Anzahl an kleinformatigen, auf Sockeln präsentierten Skulpturen – eine Art Kabinettausstellung oder eine mustergültige Werkschau? Vor dem Hintergrund, dass der Münchner Bildhauer Karl Röhrig (1886-1972) in unserer Region völlig unbekannt ist und überhaupt nur selten ausgestellt wurde, macht es Sinn, dass im Zwischengeschoss des Von der Heydt-Museums jede Skulptur für sich gezeigt wird: als separates Ereignis mit erzählerischen und formalen Qualitäten. Eine Ahnung des künstlerischen Ranges liefert bereits der Eingangsraum, in dem Gerhard Finckh als Museumsdirektor und Kurator skulpturale Meisterwerke aus dem Bestand des Von der Heydt-Museums zusammenfasst, die sozusagen den Kontext und die Zeit umreißen, in der Karl Röhrig seinen Stil entwickelt hat. Diese Skulpturen von Christoph Voll, Lehmbruck, Barlach oder Kollwitz sind figürlich und sie betonen die körperliche Verfasstheit als Modi des Existenziellen und des Sozialen.

Das betrifft nun auch das Werk von Karl Röhrig. Aber seine Skulpturen aus Holz, Stein, Terrakotta und Bronze sind handfest, mitten aus dem Leben genommen und an dieses gerichtet. Röhrig, der zunächst in Dresden studiert und das Studium dann in München – vor dem Ersten Weltkrieg an der Kunstgewerbeschule und nach dem Ersten Weltkrieg an der Kunstakademie – fortgesetzt hat, stammt aus einer klassisch figurativen Tradition. In der Ausstellung im Von der Heydt-Museum wird er vorrangig als Holzschnitzer vorgestellt, der sozialkritische Beobachtungen mit dem Blick fürs Detail umsetzt. Röhrig nahm seine Umgebung überaus aufmerksam wahr, und er war – mit den Erfahrungen als Soldat im Ersten Weltkrieg – Pazifist. Sein Wunsch, 1932/33 zu emigrieren, scheiterte an finanziellen Mitteln; vielmehr erhielt er 1942 Arbeitsverbot und wurde eingezogen und gelangte schließlich in Gefangenschaft. Es sind allerdings nur wenige skulpturale Werke, die dieses Schicksal in der Ausstellung unmittelbar zum Ausdruck bringen – da sind „Der Mann von der Winterhilfe“ (1933), mit der Zigarre im Mundwinkel und gönnerhaftem Habitus, dazu das Hakenkreuz am Revers, und der heimkehrende „Mann mit Sack“ (1945). Solche Skulpturen verfügen über eine Innigkeit und Punktgenauigkeit, die beeindruckt und die sein ganzes Werk kennzeichnet. Bei den „Zwei Boxern“ (1932) aus Bronze wird jeder Muskel in seiner Anspannung sichtbar; mustergültig sind Standbein und Spielbein austariert. Im gleichen Jahr ist die „Familie Kann“ in Holz entstanden, die bei der Autofahrt beobachtet ist, mit ihren Accessoires und Posen notiert aus bildhauerisch aufregender Position von schräg oben, sozusagen durch die Frontscheibe, ohne Frontscheibe. Die Szene mit Katze und Hund, die zunächst komisch und bildhauerisch originell ist, trägt einen deutlich kritischen Unterton. Das Ehepaar – er hinterm Lenkrad mit Zigarre im Mund, sie mit Katze auf dem Schoss und Hut und gezupften Augenbrauen – steht für eine großbürgerliche Schicht, die mit einer gewissen Brutalität ihren Reichtum zur Schau stellt. Statt vielköpfiger Kinderschar thront auf der Hinterbank der Hund. Karl Röhrig erweist sich hier als sozialkritischer Künstler, der ein subtiles Gespür für den Protest entwickelt hat und – auch dazu gibt es Skulpturen – diesen auf die Nationalsozialisten hin justiert.

Im Von der Heydt-Museum sind die Skulpturen, die doch so sehr vom Leben handeln und eine gewisse Bescheidenheit besitzen, sozusagen overdressed: Innerhalb eines Plateaus sind sie auf Sockeln auf Abstand gerückt und zugleich mit Strahlern theatralisch beleuchtet. Die unmittelbare Anschauung, zum Teil auch die Umquerung ist so leider nicht möglich. Vor der inhaltlichen Aufladung und der Bedeutung, die in jeder dieser Arbeiten steckt, geht das in Ordnung. Karl Röhrig gehört zu den wichtigen und leider doch unbekannten sozialkritischen Bildhauern zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg, das vermittelt die Ausstellung sehr eindrucksvoll.

„Karl Röhrig“, bis 17. Juni im Von der Heydt-Museum in Wuppertal, www.roehrig-ausstellung.de

Thomas Hirsch

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Vaiana 2

Lesen Sie dazu auch:

Schnittige Raumkonzepte
Lucio Fontana im Von der Heydt-Museum – kunst & gut 11/24

Schlüsselgestalt der Avantgarde
Lucio Fontana im von der Heydt Museum

„Es geht bei ihm ja immer um Löcher und Schnitte“
Direktor Roland Mönig über „Lucio Fontana: Erwartung“ im Von der Heydt-Museum – Sammlung 10/24

Blick auf die Wände
Schaudepot für die Gemälde im Vdh-Museum

Nicht nichts
100 Jahre Abstraktion im Wuppertaler Von der Heydt-Museum – kunst & gut 06/24

Mit fremden Federn
Lothar Baumgarten im Von der Heydt-Museum – kunst & gut 05/24

„Er hat sehr feinsinnige Arbeiten erschaffen“
Kunsthistorikerin Anna Storm über die Ausstellung zu Lothar Baumgarten im VdH-Museum – Interview 03/24

Unergründliche Dingwelt
Erinna König im Wuppertaler Von der Heydt-Museum – kunst & gut 01/24

„Abstrakte Kunst ist keine Reproduktion der Wirklichkeit“
Kuratorin Beate Eickhoff über „Nicht viel zu sehen“ im VdH-Museum – Interview 01/24

Großmeister im Dialog
Picasso und Beckmann im Von der Heydt-Museum – kunst & gut 11/23

„Picasso und Beckmann standen im Zentrum der Debatte über Malerei“
Direktor Roland Mönig über die neue Ausstellung im Von der Heydt-Museum – Sammlung 09/23

Bella Figura
„Figur!“ im Skulpturenpark Waldfrieden – kunst & gut 07/23

Kunst.

Hier erscheint die Aufforderung!