Einige Bilder sind wie alte Bekannte. Es ist schön, sie wieder zu treffen. Sie haben immer etwas mitzuteilen und regen unsere Gedanken an. Innerhalb der Sammlung des Von der Heydt-Museums sind diese Spitzenwerke so wichtig, dass sie über die Jahre hinweg in verschiedenen Kontexten präsentiert wurden. Diesmal ist der Hintergrund die Stiftung von Eduard von der Heydt (1882-1964), dessen Sammlung zeitgleich in den beiden oberen Stockwerken ausgebreitet ist. Über diese opulente Schau mit dem Titel „Weltkunst“ hinaus zeigt das Mezzanin-Geschoss nun weitere Werke, die August von der Heydt dem Museum überlassen hat, und zudem solche, die über seine Stiftung nach und nach erworben werden konnten. Ausgangspunkt ist die klassische Moderne, und die Ausstellung endet mit Ankäufen der Gegenwartskunst von Klaus Rinke, Sigmar Polke und Neo Rauch. Es ist eine kuratorische Leistung, dass in den vier Räumen über 100 Jahre disparater Kunstgeschichte schlüssig zusammenfinden, Inhalte vertiefen und stilistische Phänomene herausarbeiten. Die Ausstellung sortiert, konfrontiert und setzt Schwerpunkte, die von den Blickachsen unterstützt werden.
Klar, dass sie mit einem Meisterwerk beginnt, mit Claude Monets Gemälde „Blick auf die Creuse“ (1889), welches den Verlauf des Flusses zwischen den bewachsenen Steilhängen in satten Blau-, Grün- und Brauntönen festhält. Ebenso ist Félix Vallottons „Liegende mit blauen Spielkarten“ (1914) an der Stirnwand des nächsten Raumes ein koloristisches Ereignis. Aber die augenblickliche Anziehung erwidert der Frauenakt selbst mit einer kühlen Distanziertheit. Das Geheimnis liegt in den Spielkarten neben ihr...
Eine Ausstellung für sich ist im Kabinett mit den Werken von Karl Röhrig (1886-1972) und Christoph Voll (1897-1939) eingerichtet. Sie ruft die beiden sozialkritischen Bildhauer und Zeichner ins Bewusstsein und bezieht sie nun noch intensiver als bei Röhrigs Wuppertaler Ausstellung 2012 aufeinander. Beeindruckend sind schon die drei Zeichnungen von Kriegskrüppeln von Christoph Voll. Zudem unterstützt – kontrapunktisch in diesem Raum – das Gemälde „Die Industriebauern“ (1920) von Georg Scholz den anklagenden Ton. Es zeigt eine Familie in ihrer Wohnung mit allerhand ätzenden Details, welche die Profiteure des Ersten Weltkriegs bloßstellen. Den Bezug zur Realität hat Georg Scholz dadurch gesteigert, dass er Papierschnipsel in das Bild collagiert hat – man muss es einfach im Original im Museum sehen. „Die Industriebauern“ verleihen zugleich der benachbarten Bonzen-Skulptur von Karl Röhrig Gewicht. Und indirekt weist das alles schon auf die jüngste Neuerwerbung der Stiftung, die ganz am Ende von „Herzklopfen“ ausgestellt ist: auf das Porträt eines Herren der feinen Gesellschaft (1925) von Josef Scharl.
Das assoziative Spiel der motivischen Verwandtschaften mit teils weniger bekannten Bildern setzt sich auch in der Abfolge im zentralen Saal fort. Das betrifft etwa das wuchernd Kleinteilige bei Fautrier, Dubuffet und Tanguy und die geometrisch verknappte Figurendarstellung bei Schlemmer und Léger. Freilich ist etwas bedauerlich, dass nicht doch noch das eine oder andere Pendant aus dem Wuppertaler Museumsbestand dazu gehängt wurde – okay, hier geht es eben um die Von der Heydt-Stiftung. Die zentrale Perspektive von „Herzklopfen“ lenkt den Blick schließlich auf das Ende dieses Saales mit Picassos liegendem Frauenakt (1964), dem Frauenporträt von Alberto Giacometti (1962) und Francis Bacons Selbstbildnis-Studie (1981): In allen drei Werken wird ein fragiles Menschenbild vor Augen geführt. Sie sind Ausdruck für eine Zeit, in der nichts mehr so ist, wie es mal war. Wie alle gute Kunst – und davon gibt es hier viel – teilen solche Werke eben Substanzielles zum Zustand ihrer Gesellschaft mit.
„Herzklopfen. Bilder der Von der Heydt-Stiftung“ | bis 28.2. | Von der Heydt-Museum | 0202 563 62 31
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