So richtig gelingt es der Gattung Zeichnung noch immer nicht, eine allgemeine Aufmerksamkeit zu erlangen. Zwar wenden sich ihr jüngere Künstlergenerationen nachdrücklich zu (dies unterstreicht im Von der Heydt-Museum die zeitgleiche Ausstellung mit Jorinde Voigt), aber sie gilt als Spezialdisziplin. Wie attraktiv indes Zeichnungen sind und wie vielfältig sie zwischen ausformuliertem Bild und hinweisender, verdeutlichender Skizze auftreten, also wie reich in ihrem Ausdrucks- und Erfahrungsschatz, das scheint noch nicht so klar zu sein. Und Zeichnung muss nicht nur karg und s/w sein, sie kann auch farbig, bunt und opulent sein. Sie kann das Denken eines Künstlers komprimieren, ja destillieren, erst recht wenn sie nur aus ein paar Strichen auf kleinem Format besteht. So klein die Blätter oft sind: Zeichnung ist ein zeitintensives Medium, zumal man oft nahe herantreten muss, im Gegensatz etwa zu Gemälden auf Leinwand.
Vielleicht trägt die Ausstellung der Sammlung Bernd und Verena Klüser, die derzeit im Von der Heydt-Museum zu sehen ist, zu einer Schärfung für die Bedeutung von Zeichnung bei. Denn sie ist hochkarätig und inspirierend. Ausgestellt sind über 200 Blätter. „Zettels Traum“ (der Titel bezieht sich auf den Roman von Arno Schmidt) setzt im 16. Jahrhundert ein und reicht bis in die Gegenwart, welche auch den Schwerpunkt bildet. Beginnend mit einem Raum für Blinky Palermo, der Zeichnung in ihrer reduzierten farblich punktgenauen Formulierung schafft, werden die einzelnen Positionen in ihren Zusammenhängen und primär chronologisch vorgestellt.
Besonders die Zusammenstellungen der älteren Kunst sind eindrucksvoll, weil sie erlesene Einzelblätter enthalten. Man denke nur an die leuchtend blauen Aquarellzeichnungen von Carl Rottmann. Entdeckt wird Victor Hugo als Zeichner, wieder entdeckt wird – für die zeitgenössische Kunst – Karl Bohrmann. Beuys erhält mit den Zeichnungen für eine spätere Grafiksuite einen eigenen Raum. Natürlich ist der Wuppertaler Tony Cragg vertreten mit Blättern, die den Bildhauer auch als hervorragenden Zeichner zeigen. Der Sammler, der Münchner Galerist und Kunsthändler Bernd Klüser, stammt übrigens auch aus Wuppertal. Der Abschluss dieser Ausstellung ist leider nicht so eindrucksvoll wie ihr Anfang. Am Ende zerfranst selbst der Begriff der Zeichnung, tauchen auch Grafiken auf, fallen gewisse Lücken im Kontext auf und fallen die – selbstverständlich legitimen – Überschneidungen mit der Galerietätigkeit auf. Trotzdem: Eine seltene, sehr gute Gelegenheit zur Würdigung dieses Mediums. Gemessen an anderen Ausstellungen im Von der Heydt-Museum läuft diese übrigens relativ kurz. Das hängt mit der Lichtempfindlichkeit der Papierarbeiten zusammen. Aber spricht Empfindlichkeit nicht auch für Feinheit: die stillen Wasser... ?
Zettels Traum – Die Zeichnungssammlung Bernd und Verena Klüser, bis 19. Juni im Von der Heydt-Museum, www.von-der-heydt-museum.de
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