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Bonnard vorab

01. September 2010

Die Eröffnung der Bonnard-Ausstellung im Von der Heydt-Museum steht bevor - Wupperkunst 09/10

Es läuft immer gleich. Bei derart hochkarätigen Ausstellungen wie nun in Wuppertal ist die Werbung schon Monate vor der Eröffnung aktiviert: mit Plakaten und Prospekten und dem Angebot an Reisen und Führungen. Wirtschaftsfaktor Museum – die Ausstellung wird als Event vermittelt. Schließlich ist der Aufwand von Ausstellungen zur klassischen Moderne, bei denen die Bilder mit Spezialtransporten aus allen Himmelsrichtungen gebracht werden, immens. Die Schau, die das Von der Heydt-Museum mit den Bildern des französischen Malers Pierre Bonnard durchführt, ist also zu hohen Besucherzahlen und Katalogverkäufen „verdammt“. Aber sie versucht, die Balance zu halten zwischen Spektakel, Erlebnis für die Augen und wissenschaftlichem Anspruch.

Die Ausstellung umfasst Bonnards gesamtes Werk und rankt sich sozusagen um das Gemälde „Das weiße Tischtuch (Das Esszimmer)“ (1925), welches das Von der Heydt-Museum 1977 erwerben konnte. Natürlich macht es Sinn, wenn wichtige Bilder der eigenen Sammlung vorgestellt werden, zudem fügt sich die Werkschau zu Bonnard hervorragend in die Ausstellungskonzeption ein, der Gerhard Finckh als Museumsdirektor konsequent nachgeht und die in ihrer Ausrichtung ihresgleichen sucht. Zu seinen publikumstauglichen Malerei-Ausstellungen zur Avantgarde zwischen Mitte des 19. und Mitte des 20. Jahrhunderts gehören Werkschauen mit Renoir, Hans von Marées, Ensor und zuletzt Monet. Von allen – sogar von Marées und Ensor – hat die Malerei von Bonnard etwas.

Aber haben Pierre Bonnards Gemälde den Aufwand tatsächlich verdient und müssen auch Auswärtige diese Ausstellung als wichtiges kulturelles Ereignis im Kalender vormerken? An Bonnard haben sich lange die Geister geschieden. Das „Duftende“ und Leuchtende zumal im „Gewöhnlichen“ der Motive, überhaupt das Verhaften im Realismus galt z. B. für die Anhänger des Kubismus als rückständig.

Tatsächlich aber war Bonnard auf der Höhe seiner Zeit. Geboren 1867 in Fontenay-aux-Roses, kommt er sehr schnell mit den Impressionisten in Kontakt und lernt während seines Studiums in Paris die Nabis kennen, die Künstlergruppe mit Paul Sérusier und Maurice Denis, welche ihrerseits die Malverfahren der Impressionisten ablehnte. Ab 1891 nimmt er an Ausstellungen teil und arbeitet daneben im angewandten Bereich, er entwirft Plakate und malt Theaterdekorationen. Zeitweilig beschäftigt er sich neben der Malerei mit der Lithographie. Aber war er zunächst der dunklen Farbigkeit sowie dem Ornamentalen und Motivischen von Symbolismus und Jugendstil verpflichtet, so wird seine Malerei nach 1900 eigenständiger, die Linie verschwindet zunehmend gegenüber klaren, aus dem Duktus heraus formulierten Farbpartien, die fast autonom im Bild stehen. Zugleich hellen die Töne auf. Um 1920 hat Bonnard, den die Kritik zeitweilig in eine Malkrise geführt hatte, seinen reifen Stil entwickelt, mit dem er, hochgeachtet, später zu Ausstellungen in der Schweiz und in Amerika eingeladen wird. Seine Sache sind das reine Sehen mit der Lösung vom konventionellen Bildaufbau und eine Welt jenseits des städtischen Lebens und des Fortschritts – er selbst meidet Paris und lebt bis zu seinem Tod 1947 auf dem Land.

Charakteristisch für all das ist sein Gemälde „Das weiße Tischtuch (Das Esszimmer)“ in der Sammlung des Von der Heydt-Museums: Denkbar alltäglich mutet die Szene im Innenraum an, bei der zwischen zwei Figuren auf einem weißen Tisch mehrere Gefäße mit Essen stehen. Bemerkenswert ist aber, wie die eine Gestalt in sich versenkt scheint und die andere aus dem Bild zum Betrachter schaut. Die Dinge selbst sind unorthodox auf der Diagonalen angeordnet und trennen so das Geschehen. Dabei bleibt das Bild „offen“, ist an allen Seiten angeschnitten und setzt sich sozusagen außerhalb des Feldes fort. Die Hierarchie des Sehens ist aufgehoben, die Perspektive kippt ... – darin und in der Absolutierung der Farbe ist Bonnard fortschrittlich, gar revolutionär.

Zugleich beeindruckt die Sinnlichkeit der Malerei, erst recht in der Bescheidung auf die unmittelbare, familiäre Umgebung, die vom Glück im vermeintlich Einfachen spricht. – Wie wäre es, darin einen bewussten Gegenentwurf zu der vom Krieg heimgesuchten Welt und zur extrem beschleunigten Zivilisation zu sehen? Also, es gibt hinreichend Anlässe und Verfahren, Bonnards Bilder zu betrachten. Auch jetzt, wie in früheren Schauen, will das Von der Heydt-Museum noch Meisterwerke zeitgleicher Maler einbeziehen – der eigene, phänomenale Bestand an Kunst aus der klassischen Moderne macht’s möglich. Und verpflichtet eben auch.

THOMAS HIRSCH

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