Mit Pablo Picasso und Max Beckmann widmet sich das Von der Heydt-Museum zwei der bedeutendsten Maler des vorigen Jahrhunderts – von denen der erstgenannte zudem überwältigenden Ruhm erlangte. Ein Gespräch über Formensuche in der Malerei, künstlerische Konkurrenz und Politik in der Kunst.
engels: Herr Mönig, Picasso versus Beckmann – das ist ja wie bei „Rumble in the Jungle“.
Roland Mönig: Für mich ist die Ausstellung eher wie ein Reagenzglas. Darin stecken wir zwei Künstler zusammen, die sich zwar niegetroffen, sehr aber wohl gegenseitig wahrgenommen haben. Picasso hat über Beckmann gesagt, „il est très fort“, er ist sehr stark. Beckmann wiederum war lebenslang neidisch auf den Ruhm, den unglaublichen Erfolg von Picasso. Beide haben parallel die großen Themen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bearbeitet. Es geht immer um den Menschen, es geht darum, wie man die Welt verstehen kann und wie die großen Erzählungen der Vergangenheit, Mythen und Legenden, dabei helfen können, die eigene, sehr komplizierte Gegenwart zu verstehen. Deshalb heißt die Ausstellung auch „Pablo Picasso – Max Beckmann. Mensch, Mythos, Welt“.
Welchen künstlerischen Vorteil hatte denn Picasso, der 20 Jahre länger gelebt hat als Beckmann?
Das ist eine Wertungsfrage. Ich glaube, er hatte zwei Vorteile. Beckmann ist ja vor den Nazis ins Exil nach Amsterdam geflohen und nach dem Krieg nicht mehr nach Deutschland zurückgekehrt, sondern er ist in die USA gegangen, wo ermehrere Lehraufträge hatte. Sein Renommee in jenen Jahren dort war enorm – er galt als einer wichtigsten Künstler der Gegenwart. Dann stirbt er Ende 1950 an einem Herzinfarkt in New York, und seine Karriere ist abrupt vorbei. Picasso hat eben über 20 Jahre länger arbeiten können. Er hat den Ruhm, den er in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts aufbauen konnte, voll auskosten können. Er ist zu einer lebenden Legende geworden, mit all den Licht- und Schattenseiten, die das mit sich brachte. Mit einem Spätwerk auch, das bis heute polarisiert. Man hat immer gesagt, Picasso male gegen den Tod an. Das ist sicherlich auch richtig in den letzten Jahren. Vor allen Dingen sieht man, dass seine schöpferische Energie einfach nicht nachlässt. Er arbeitet ja bis zum Schluss. Seine Batterie leert sich einfach nicht. Und das ist etwas ganz Faszinierendes.
„Beide haben die großen Themen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bearbeitet“
Was bedeutete es zu Lebzeiten von beiden, die Möglichkeiten und Aufgaben gegenständlicher Malerei zu definieren?
Picassound Beckmann standen im Zentrum der Debatte darüber, was Malerei überhaupt kann, was Malerei überhaupt soll. Man muss sich dazu vor Augen halten, dass viele traditionelle Aufgaben der Malerei schon seit Jahrzehnten auf die Fotografie übergegangen waren. Alle haben sich neue Themen gesucht. Picasso hat sehr radikal geantwortet und mit dem Kubismus eine neue Form figürlicher Malerei gefunden, die kein anderes Medium erreichen kann. Der frühe Beckmann dagegen war eher konservativ. Er wetterte gegen das, was er die „Picasso-Schachbrettchen“ nannte. Der entscheidende Wendepunkt bei ihm ist der Erste Weltkrieg, in dem er als Sanitäter viel Elend und Grauen erlebt. Nach einer anfänglichen Euphorie bricht er Ende 1915 zusammen – psychisch wie physisch. Nach diesem Zusammenbruch entstehen ein neues Denken und auch ein neues Werk. Beckmanns ganzes Schaffen dreht sich dann darum, wie er selber sagt, den Menschen ein „Bild ihres Schicksals“ zu geben. Picasso und Beckmann haben beide sowohl den Ersten als auch den Zweiten Weltkrieg als Zeitgenossen erlebt. Beckmann sind beide Kriege viel näher gegangen, hat sie viel direkter gespürt und durchlitten als Picasso, der in Paris in einer viel sichereren Situation war – sogar während der Zeit, als die französische Hauptstadt vonden Nationalsozialisten besetzt war. Aber was Picasso tief berührt hat, war der Spanische Bürgerkrieg. Da wird klar: bei Malerei geht es nicht nur um Formfindung, nicht nur um Dekoration. Malerei wird zur „Waffe gegen den Feind“. Das ist eine Formulierung von Picasso.
„Picasso hat den Ruhm voll auskosten können“
Aber Beckmann war politischer, oder?
Beckmann war deutlich politischer. Aber man sieht, wenn Picasso sich von einem Thema angefasst fühlte, ist er auch politisch geworden. Aber er war niemals so existentiell bedroht wie Beckmann. Der wurde gleich 1933 als Direktor der Städelschulein Frankfurt entlassen, seine Bilder wurden als „entartet“ gebrandmarkt und aus den Museen herausgerissen. Unter diesem existenziellen Druck ist er dann 1937 geflohen. Das hat Picasso nicht durchmachen müssen.
Gibt es einen roten Faden durch die Ausstellung?
Ja, das sind die Fragen nach Mensch, Mythos und Welt: Wie sehen die beiden den Menschen, seine Schicksale, seine Leidenschaften. Wie verstehen sie ihre Umwelt und die Dinge, die sie umgeben. Schließlich, wie versuchen beide mit Formulierungen, die aus dem Mythos kommen, mit Bildern und Motiven aus Geschichten und Legenden, die zum Teil bis in die Antike zurückreichen, die eigene Gegenwart zu verstehen und zu deuten.
„Beckmann war deutlich politischer“
Sind die Werke alle aus dem Bestand des Wuppertaler Von der Heydt-Museum und dem Sprengel Museum in Hannover?
Mit diesen beiden Sammlungen, die ja in Ihrer Struktur und Geschichte aufs Engste mit Picasso und Beckmann verknüpft sind, haben wir eine wunderbare Basis. Ich bin noch nicht ganz fertig mit der Statistik, aber ich würde sagen, bei uns im Haus sind es etwa 70 bis 80 Prozent der Präsentation, die wir daraus bestreiten können. Rund 15 bedeutende Bilder aus privaten und öffentlichen Sammlungen kommen noch dazu.
Pablo Picasso – Max Beckmann. Mensch, Mythos, Welt | 17.9. - 7.1. | Von der Heydt-Museum, Wuppertal | 0202 563 62 31
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