Diesmal birgt der Blick die Straße entlang und empor zum Wechselausstellungsbereich des Skulpturenpark Waldfrieden eine unerwartete Besonderheit. Tony Craggs Skulpturen am Wegesrand sind ohnehin jedes Mal eine Wucht; nun aber verhalten sie sich sozusagen komplementär zu den plastischen Arbeiten, die vorübergehend zu Gast sind: zu den Werken aus Metallstäben von Norbert Kricke, die sowohl im Pavillon als auch auf dem Parkgelände zu sehen sind. Während Craggs Arbeiten sich meistens als massive Körper in die Höhe und in den Raum schrauben, sind Krickes Arbeiten körperlos, bestehen nur aus Linien, die sich in ihre Umgebung erstrecken und sie sozusagen nach allen Himmelsrichtungen hin vermessen. Die Energie von Craggs Arbeiten richtet sich nach innen, die Dynamik von Krickes Arbeiten hingegen nach außen. Cragg bezieht sich unmittelbar auf Phänomene der Natur und der Technik, Kricke „entkernt“ stattdessen maximal. Einen Hang zum Vitalen haben aber die Werke von Beiden, in sehr kontrollierten Bahnen. Und beide Künstler, die unterschiedlichen Generationen angehören, arbeiten mit dem, was sie in ihrer Gesellschaft sehen: mit deren Materialien und Formensprachen, wobei Farbe für Kricke keine besonders große Rolle spielt.
Eine zentrale Gestalt für die Skulptur nach 1945 ist der Brite Anthony Caro, und so wie Cragg zu seiner Schülergeneration (im weitesten Sinne) zählt, so könnte sich Kricke schon früh auf den zwei Jahre später geborenen Caro bezogen haben – oder lag seine Kunst damals nicht in der Luft?
Norbert Kricke (1922-84) war ein Bildhauer ganz im Sinne der Avantgarde. Klassisch an der Kunstakademie in Berlin ausgebildet, wechselt er schon bald und geradezu übergangslos von der Figur zur Linie. Bereits 1950 entstehen die ersten dieser Raumplastiken (wie er sie nennt) aus gebogenen Stäben, die damals topmodern waren. Wohl unter dem Einfluss der wenig später in Deutschland boomenden abstrakt-informellen Kunst erweitert er ab Ende der 1950er Jahre sein Repertoire. Die Stäbe verlaufen parallel, nähern sich aneinander an und bilden kreiselnde Bündel. Oder sie verwachsen miteinander, verdichten sich zu Knoten und brechen kantig, faserig auf. Sie beschreiben – zumal als Großplastik im Außenraum – ein unruhig vibrierendes Geschehen. Kricke beherrscht sehr bald ein weites Ausdrucksspektrum und verfügt frei über dieses. Seine Arbeiten entstehen im Hinblick auf einen bestimmten Ort. So entwickelt Kricke wirbelnde Raumknoten auf städtischen Plätzen, wo sie die Lebhaftigkeit und Geschwindigkeit flutender Verkehrskreuzungen versinnbildlichen und dominierende Zeichen setzen. Im Grunde ist jede seiner Plastiken ein neues, formal äußerst beherrschtes Spiel.
Zeichnung im Raum
Einen wirklich guten Einblick in dieses wichtige Werk bietet nun die Schau im Skulpturenpark Waldfrieden. Dafür sind im Pavillon eine Vielzahl überwiegend kleiner, modellhafter Arbeiten und im Außenraum drei große Skulpturen zu sehen. Die kleinen Arbeiten vermitteln das Vokabular und die Systematiken. Die großen zeigen gewissermaßen die Wirkung: das Durchqueren des Raumes und dessen Ausloten, die (virtuelle) Zeichnung im dreidimensionalen Raum. Am anschaulichsten teilt dies hier die „Raumplastik Große Kurve 2/1980“ mit, die sich hinter der Villa Waldfrieden befindet. Wie eine Raupe stupst sie die Luft, krümmt und biegt sich leicht, so dass sie nur an einzelnen Punkten die Wiese berührt. Die Präsentation in Wuppertal ist genial. Auf der einen Seite von einer überlebensgroßen statischen Figur von Thomas Schütte begrenzt, spiegelt sich in der Fensterscheibe der Villa das Knappe, Leichtfertige und doch Zielstrebige der Linie. Vielleicht ist das ja die große Leistung dieses wichtigen Bildhauers, der wie Tony Cragg als Professor für Bildhauerei an der Düsseldorfer Kunstakademie lehrte und als einer seiner Vorgänger deren Rektor war: Die Linie zu beleben und mit ihr die Umwelt zu aktivieren.
„Norbert Kricke: Skulpturen“ I Bis 25.9. I Skulpturenpark Waldfrieden
0202 317 29 89
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