Den flüchtigen Lichtimpulsen von Mischa Kuballs winterlicher „Light_poesis“-Installation im Park folgt nun ein skulpturales Schwergewicht: tonnenschwere Großskulpturen des britischen Bildhauers Anthony Caro (1924-2013). Seinen festen Platz in der Kunstgeschichte errang Caro durch monumentale Gebilde, die nichts Konkretes, eindeutig Fassbares zeigen – aber stark wirken. Industriell vorgefertigte Stahlteile, Metalle und Schrott als künstlerisches Material zu nutzen, dynamische Formen ohne figürliches Vorbild zu gestalten und Skulpturen statt auf Sockeln direkt neben Betrachtern auf dem Boden zu platzieren: Das war in den frühen 1960ern in Europas Kunst radikal, eine Befreiung und Erweiterung des Skulpturenbegriffs. Und Caros Verdienst.
Für Londoner Kunststudenten wie ihn war Caro Anfang der 1970er Jahre eine Art „Gott“, schwärmt Skulpturenparkleiter Tony Cragg. Ein Professor, der Generationen junger Bildhauer prägte. Nun würdigt Cragg den verehrten Wegbereiter posthum zum 100. Geburtstag mit einer aufwendigen Retrospektive: elf raumgreifende Objekte,Leihgaben des Anthony Caro Centre, London,aus allen Schaffensphasen des langen Künstlerlebens fanden Platz im Skulpturenpark, zwei davon im Außenraum. Die fast drei Tonnen schwere Bodenarbeit „Scorched Flats“ aus gerosteten Stahlplatten (1974) lagert vor der mittleren Halle. Das acht Meter lange „Double Tent“ aus silbrigem Edelstahl (1987–1993) steht mitten im dichten Wald, etwas beengt zwischen den Bäumen.
In der lichtdurchfluteten oberen Ausstellungshalle haben dagegen fünf Großobjekte aus unterschiedlichen Jahrzehnten vielFreiraum zur Entfaltungund Umrundung. Die früheste Arbeit von 1963 ist ein filigranes Gebilde aus farbig lackierten Stahl- und Aluminiumstangen, die funktionsfrei in den Raum tentakeln. In den frühen 1950ern, als Assistent des Bildhauers Henry Moore, hatte Caro noch figürlich gearbeitet; ein USA-Stipendium und Kontakt zur New Yorker Kunstszene gaben ihm frische Impulse. Freie Formen wie Matisses Tänzerinnen – warum sollten die nur auf flächigen Gemälden schweben dürfen und nicht auch skulptural im Raum? Mit „Month of May“ in Frühlingsfarben beweist Caro 1963 schon Dynamik in luftiger Abstraktion, „Whispering“ (1969) schraubt sich vertikal in die Höhe und „Star Flight“ aus Zinkstahl ähnelt einer explodierenden Raketenabschussrampe.
Weltbekannt und vielfach ausgezeichnet wurde Caro später für seine massigeren Werke, Stahlfundstücke, grob verschweißt, verschraubt, genietet – mal rostig, schrundig, gefaltet, verbeult und gebogen, mal elegant geschliffen, sorgfältig zusammengesteckt und farbig lackiert. Munteres Formenspiel konterkariert die Materialwucht. Das hat auch Witz, da ist Musik drin, mal eine Art Klangschale oder Trompetenrohr, mal erinnert das Objekt eher an Betonmischer, Ofen, Hütte, Turm oder andere quasiarchitektonische Konstruktionen wie das Spätwerk „Autumn Rhapsody“ (2011/12) aus leuchtgelbem Plexiglas. Unterschiedliche Assoziationen und Emotionen fliegen einem beim Betrachten zu, gerade weil Caros Objekte so vieldeutig sind, von überraschender Vielfalt und Charme, und ja, auch Leichtigkeit.
Anthony Caro: Sculptures | bis 14.7. | Skulpturenpark Waldfrieden, Wuppertal | 0202 47 89 81 20
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