Kriechende, schreitende, statische, werdende, Totem- und janusköpfige Doppelfiguren bevölkern den ovalen Ausstellungsraum im oberen Gelände des Skulpturenparks Waldfrieden. Aus einem Baumstamm wachsen zwei sich umschlingende menschliche Wesen, eine Halbfigur streckt ihre überdimensionalen, an den Enden knüppelartig verdickten Hände in den Himmel, Pinocchio stützt sich suchend auf den Boden, armlose oder miteinander verwachsene Körper, mit und ohne Gesicht, krümmen sich auf dem Boden, steigen aufeinander, stehen oder knien still im Raum.
Der in Liverpool geborene und in Wuppertal lebende Bildhauer Tony Cragg lernte den Schweizer Maler, Bildhauer und Schriftsteller Martin Disler (1949-1996) in den 1980er Jahren kennen und widmet ihm jetzt eine Einzelausstellung in seinem Skulpturenpark. Unter dem Titel „Häutung und Tanz“ sind 21 Bronzeplastiken der insgesamt 66 Arbeiten umfassenden Werkgruppe, die in den 1990er Jahren entstand, in der rundum verglasten Halle verteilt. „Sie schlafen nicht und sie sind nicht tot, sie sind quicklebendig“, äußert sich Cragg über die teils überlebensgroßen menschlichen Kreaturen, die sich in sonderbaren Stellungen im Raum positionieren, auf dem Boden winden, sich vereinen, verwandeln.
Für die Herstellung der Plastiken fertigte Disler Holzgestelle aus Gips an, die er mit Gipsbinden umwickelte und anschließend mit Gips überformte. Nachdem die Figuren gegossen waren, wurde das Modell zerstört – von allen Bronzeplastiken gibt es ausschließlich Unikate. Auf ihrer patinierten Oberfläche sieht man noch die Finger- und Handspuren des Autodidakten, der seine Werke oft im exzesshaften Rausch anfertigte – auch mit Hilfe bewusstseinserweiternder Mittel oder Schlafentzug. Zu erreichende Stückzahlen wie 66 oder sogar 999 waren dabei Ziele, die ihn herausforderten und an seine Grenzen brachten: Mit nur 47 Jahren verstarb er an den Folgen eines Hirnschlags.
Der Ausstellungstitel spiegelt auch seine Arbeitsweise wieder: So bewegte er sich für seine Action Paintings gleichsam tanzend über riesenhafte Leinwände und malte mit dem Einsatz seines ganzen Körpers. Einige Figuren im Raum scheinen sich in einer Art Bewegungsabfolge aufeinander zu beziehen und einen dynamischen Prozess darzustellen. Die „Häutung“ verweist auf die Transformation von Körpern, ihre Wandelbarkeit und Fähigkeit zur Entwicklung. Mehrere Figuren thematisieren Geschlechterfragen, spiegeln die Suche des Künstlers nach Identität und sind in ihrer deformierten Unvollkommenheit keine Beispiele für ideale, an gesellschaftliche Normen angepasste Körper. Die Plastiken wurden nun für die Ausstellung in Wuppertal aus Privaten und öffentlichen Sammlungen zusammengesucht und werden nun erstmals seit 30 Jahren wieder in einem Zusammenhang gezeigt. Zur Ausstellung wird ein Katalog erscheinen mit Texten von Roland Wäspe (Direktor des Kunstmuseums in St. Gallen), Demosthenes Davvetas (Philosoph) und von Disler selbst.
Martin Disler. Häutung und Tanz | bis 16.6. | Skulpturenpark Waldfrieden | 0202 47 89 81 20
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