„There is a happy land where only children live“ (Bowie, 1967). Irgendwie sind für mich diese alten Zeilen immer mit den kleinformatigenBlei- und Farbstiftzeichnungen von Else Lasker-Schüler verbunden. Jetzt hat dasWuppertaler Von der Heydt-Museum sie in einen würdigen Rahmen gehängt, mitten in die zum Teil großformatige Kunst der Avantgarde aus dem Anfang des vergangenen menschenverachtenden Kriegsjahrhundert. Das alte „hunderttorige“ ägyptische Theben wurde für Lasker-Schüler zum mystisch verklärten Traumland in einer Zeit, wo die Kolonien und das Orientalische an sich (denken wir nur ans Mumienpulver in den Apotheken) natürlich Hochkonjunktur hatten und die so genannte Ferne für Normalsterbliche noch weitgehend unentdeckt war.
Aber Else Lasker-Schüler (1869-1945) stammte aus einer reichen Bankiersfamilie.In Elberfeld bei Wuppertal geboren war das schon ein Vorteil, um am Ende in der Berliner Boheme zu landen. Theben war aber kein Kindergespinst, sondern eine Art künstlerischer Gegenentwurf zur politischen Ordnung, beileibe kein Gegenmodell zum langsam aufkeimenden Nationalsozialismus. Didaktisch sehr geschickt hat Kuratorin Antje Birthälmer die Mixtur der Voranschreitenden geordnet. Neben Bildern der Weggefährten machen originale Briefe und Schriften die Ausstellung außergewöhnlich. Die Kontraste der Techniken und die Wahrnehmung als Ebenbürtige in Kunstkreisen verblüfft, wurde doch bereits eines ihrer ersten Werke (Gedichtband„Styx“, 1902) gleich als Frauenlyrik abgetan. Dabei haben „Der Blaue Reiter“ und andere auf ihre Arbeiten reagiert und Bilder aus Lasker-Schülers eigenem Universum gesaugt: „Aus den Jagdgefilden des Prinzen Jussuf“ (Franz Marc, Illustrierte Postkarte 1913) oder sie als Teil der Szene porträtiert (Karl Schmidt-Rottluff, Lesende, Öl auf Leinwand, 1912 oder Christian Rohlfs Die Dichterin, Öl auf Leinwand, 1920).
Acht Räume voller Meisterwerke der Moderne darf der Kunstinteressierte in Wuppertal durchlaufen, und er wandert durch einen farbigen Wald aus Träumen mit merkwürdigen Wesen. Auch eins der 250 handsignierten Original-Exemplare von Theben „Gedichte und Lithos“ (Querschnittverlag, 1923 – heute kaum unter 10.000 Euro zu finden) ist in einer Vitrine quasi aufgebahrt. Das Zitat „Es ist ein Weinen in der Welt, / Als ob der liebe Gott gestorben wär“, attestiert der zeichnenden Dichterin ein sicheres Gespür für die zunehmende Verrohung ihrer Zeit, die sie in der Schweiz und Palästina (heute Israel) überlebte. Prinz Jussuf verabschiedete sich aus dem Romanischen Café in Berlin, ein paar Monate nachdem er im November 1932 den Kleist-Preis erhalten hatte, und1945 aus Jerusalem, wo er nach einem Herzanfall starb.
Lasker-Schülers dichterisches Werk hat die Theaterbühnen nie verlassen. Insbesondere ihr Sittengemälde „Die Wupper“ wird immer wieder inszeniert. Im Wuppertaler Jubeljahr zum 150. Geburtstag der Avantgarde-Künstlerin hat die israelische Regisseurin Dedi Baron in einem Gewerbegebiet sogar das nachgelassene Lasker-Schüler-Fragment „IchundIch“ quasi in „Wüstensand“ inszeniert, genau einhundert Jahre nachdem Max Reinhard „Die Wupper“ am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt hat. Und so zeigt die Ausstellung natürlich auch Bühnenbildentwürfe und Programmheft-Devotionalien aus den Zeiten. Alles sehr sehenswert.
Else Lasker-Schüler: ‚Prinz Jussuf von Theben‘ und die frühe Avantgarde | bis 16.2. | Von der Heydt-Museum Wuppertal | 0202 56 36 23 1
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