Das eine schließt das andere nicht aus. Der Skulpturenpark Waldfrieden mit seinem Leiter Tony Cragg stellt, in Zusammenarbeit mit der Galerie Dierk Dierking, afrikanische Figuren und Masken als herausragende ästhetische Formulierungen vor. Aber die Präsentation bedenkt in ihrem Neben- und Miteinander noch, dass es sich hier um kulturelle und spirituelle Objekte handelt, welche ausschließlich zur Betrachtung bestimmt waren. Ausgestellt sind rund drei Dutzend Skulpturen und Masken mehrerer ethnischer und sprachlicher Völker aus dem Südosten Nigerias. Schon bei der ersten Betrachtung ist klar, die Skulpturen folgen anderen „Gesetzmäßigkeiten“ als unsere abendländischen Kunstwerke. Sie sind eigentlich erst in ihrer eigenen Gesellschaft und mit deren Akzeptanz verständlich. Sie verfügen über Symbole und Attribute, denen kollektive Erfahrungen innerhalb ihres Stammes zugrunde liegen. Dort kommen sie bei Ritualen und Festen zum Einsatz, verweisen auf die spirituelle Sphäre und tragen außerhalb des direkten Gebrauchs den Charakter von Trophäen. Die Datierungen sind zumeist unklar, da sich die spezifischen Kennzeichen über Generationen halten. Die stilistischen und motivischen Eigenheiten aber sind von Stamm zu Stamm verschieden und werden innerhalb der Gemeinschaft tradiert. Die Künstler bleiben anonym, aber sie sind doch herausgehobene Persönlichkeiten, schließlich müssen sie den Objekten, die etwas Besonderes symbolisieren, Einzigartigkeit verleihen, und zwar auf höchstem handwerklichem Niveau.
Die Funktion und die spezifischen Merkmale bestimmen wesentlich die Formensprache, Weiteres gibt die Materialität – zumeist, aber nicht ausschließlich, Holz – vor. Dabei kennzeichnet diese Objekte eine gewisse Klarheit und Geradlinigkeit, auch etwas Konkretes, schließlich: Die Figuren sind weit mehr als ein Gegenstand, sie sind ein wesenhaftes Gegenüber. Erst recht deutlich wird dies in der Auswahl im Skulpturenpark, die sich auf Figuren und Masken konzentriert, welche folglich in bildhafter Übertragung an die Erscheinung des Menschen angepasst sind.
Ausdrucksstärke und Sinnlichkeit
„Ihre Vitalität ist Ausdruck der Tatsache, dass diese Skulpturen im Leben derjenigen, die sie herstellen, eine zentrale Rolle spielen; um diese Funktion zu erfüllen, müssen sie höchst suggestiv und ausdrucksvoll sein“, schreibt Tony Cragg, der auch als Kurator fungiert, im Katalog. Cragg verweist in seinem Vorwort noch auf die handwerkliche Fertigkeit, zu der gehört, dass die Skulpturen aus einem Holzstamm geschnitzt sind – und dass die afrikanische Skulptur wegweisend für etliche abendländische Künstler wurde. Das andere ist ihre Ausdrucksstärke und Sinnlichkeit, die durch das Material Holz gesteigert ist. In Wuppertal dominieren schwarze und weiße Pigmente als Farbgebungen, was mit dem gleißenden Sonnenlicht an den Herkunftsorten zusammenhängt. Und Weiß hebt ebenso aus dem Alltag heraus wie einzelne der Accessoires, die auf eine andere Sphäre weisen. Ein weiteres Kennzeichen ist die mittige Vertikale, welche die Symmetrie des Gesichtes betont. Die Strenge der Erscheinung geht mit einer präzisen Ornamentik einher, dazu gehören etwa Bänder, die aus der Abfolge geometrischer Kleinformen bestehen, oder der Kopfschmuck, bei dem eine große Variationsbreite festzustellen ist, und an dem man die Werke verschiedenen Stämmen zuordnen kann.
Unser Nichtwissen bringt eine gewisse Chance mit sich. Wir gehen relativ unvoreingenommen an diese Objekte heran. Unsere Ehrfurcht ihnen gegenüber – die wahrscheinlich größer ist als gegenüber der eigenen vertrauten, im Übrigen säkularen zeitgenössischen Kunst – besitzt aber etwas Diffuses. Wir bewundern die Expressivität und Kontrolliertheit der Erscheinung und ahnen den spirituellen Charakter und die magische Wirkung, ohne das Ritual oder überhaupt die Verwendung der Masken zu kennen. Wir sehen die Werke mit unseren Augen, aber wissen, dass sie nicht für unsere Augen gemacht sind.
Und so wie diese Artefakte unvermeidlich aus ihrem Zusammenhang genommen sind, so versucht die Ausstellung erst gar nicht die diesbezügliche Rekonstruktion. Vielmehr lassen das Display und die Präsentation im Ausstellungspavillon an das Formgefühl des Künstlers Tony Cragg denken, der bei seinen eigenen Skulpturen mit geschwungenen Verläufen im Raum arbeitet. Die Ausstellung im Skulpturenpark Waldfrieden schließt hier an eine Reihe von Präsentationen mit wichtigen Positionen der Skulptur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts an, die – das ist Voraussetzung, dass es so gut wird, wie es tatsächlich dann ist – auch für Tony Cragg eine wichtige Rolle spielen. So gesehen schlägt Cragg nun einen anderen Ton an, der ihm aber genauso am Herzen liegt. Seine eigenen Skulpturen, die schon durch die Fensterscheiben des Pavillons zu sehen sind, nimmt man nach dieser Ausstellung wieder ein bisschen differenzierter wahr.
„Skulpturen und Masken aus Nigeria“ I bis 15. Juli I Skulpturenpark Waldfrieden I www.skulpturenpark-waldfrieden.de
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