Im Grunde war es nur eine Frage der Zeit, dass Tony Cragg in seinem Skulpturenpark Henry Moore (1898-1986), den Übervater der britischen Bildhauerei, vorstellen würde. Zu hochkarätig, noch das Feld der Skulptur vermessend und mit einem Blick auf die Kunst seines Heimatlandes, waren bislang seine Ausstellungen auf dem Parkgelände, die meist den Außenraum einbezogen haben. So beginnt nun auch die Ausstellung mit Henry Moore mit einer phänomenalen Bronzeplastik auf der Wiese vor der Villa. In mattem Schwarz windet sich eine Figur in die Höhe. Die Kopfform neigt sich zur Seite. Organische Formen stellen den Bezug zur Landschaft her. Die pflanzliche Ausrichtung erinnert an einen Keimling. Tatsächlich gibt es ähnliche Skulpturen von Moore, die eine solche Form mit einer Hülle umfassen und damit das Motiv des Schützens und des Wachstums, von Kern und Schale betonen. Die Figur in Wuppertal aber erinnert außerdem ein bisschen an seine berühmte Doppelskulptur „King and Queen“ (1952-53) aus seiner surrealen Phase.
Henry Moore hat in Zeiten, in denen das nicht selbstverständlich war, die traditionelle bildhauerische Vorstellung von Figur abgelegt. Er stilisiert die Darstellung des Menschen und abstrahiert zum Biomorphen hin. Aber es bleibt kein Zweifel, dass es um den Menschen und seine Existenz geht. Damit wurde er weltberühmt, mit den wichtigsten Kulturpreisen ausgezeichnet, und eine seiner Skulpturen wurde sogar vor dem damaligen Bundeskanzleramt in Bonn platziert und dort zur meistfotografierten Skulptur Deutschlands.
In Waldfrieden gehört die hoch aufragende Bronzeskulptur nur bedingt zur Ausstellung in den beiden Pavillons, die sich ganz auf die fragilen, teils winzigen Gipsplastiken konzentriert. Diese stellen im Schaffen des Künstlers ein spezielles Thema dar: Anfänglich nur als Vorlagen und als Modell für den Bronzeguss geschaffen, hat Moore später ihren eigenen künstlerischen Wert erkannt, sie belassen und weiter bearbeitet, auch Farbspuren gesetzt und einzelne Partien betont, die beim Guss selbst verloren gingen. Die vorbildliche Präsentation in den beiden Hallen des Skulpturenparks umfasst nun über 30 Exponate von den 1950er bis in die 1980er Jahre. Alles ist dabei: die (noch) realistische weibliche Figur, die auf einer Treppe sitzt oder sich zurücklehnt – aus der Serie der berühmten „reclining figures“ – und die archaisch amorphen Klumpen mit ihren doch so feinen Einzeichnungen. Vertreten sind auch die Helmköpfe, welche sich sozusagen nach Innen stülpen und auf den Krieger als eines von Moores zentralen Sujets weisen: Deutlich wird die intensive Beschäftigung mit Form zu einer Zeit, in der die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs alle Gewissheiten aushebelten und die Kunst nach einer adäquaten Darstellung für den Menschen suchte und Humanismus anmahnte. Dies führt im Spätwerk zu Kugelsegmenten, die volumetrisch aufgebrochen sind. Hier war Moore ein weiteres Mal ganz vorne mit dabei.
Übrigens lässt sich das Werk des hier kuratierenden Tony Cragg in seinen organischen Abstraktionsprozessen in einer Traditionslinie mit Henry Moore sehen. Ja, Cragg hat sogar in der großen Moore-Monographie von Christa Lichtenstern das Vorwort geschrieben. Folglich trifft es sich gut, dass parallel zu Moores Werk die Skulpturen von Cragg nicht nur im Skulpturenpark selbst zu sehen sind, sondern auch in einem umfassenden Werküberblick im Von der Heydt-Museum ausgestellt werden. – Und noch ein weiterer Hinweis zur Sache: Ab 22. Mai stellt mit Barbara Hepworth (1903-1975) die bedeutendste in ihrem Werk verwandte Bildhauerkollegin von Moore im Bahnhof Rolandseck bei Remagen aus. Auch da werden Arbeiten des Altmeisters selbst zu sehen sein.
„Henry Moore – Plasters“ | bis 9.10. | Skulpturenpark Waldfrieden | 0202 4789 81 20
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