Noch ein Grund, um hierher zu kommen: Nicht nur die Gemälde von Monet gibt es derzeit in Wuppertal zu bewundern, sondern auch die Skulpturen des Amerikaners John Chamberlain. Und der ist überhaupt spannend. Welchen Schubladen ist er nicht schon zugeordnet worden! Avantgarde seit den 1950er Jahren, Pionier der neueren Metallplastik, Großmeister der Pop Art und andererseits der Nouveaux Réalistes, mit seinen „verbrauchten“ Werkstoffen noch der Arte Povera zuzurechnen, dabei immer ein Einzelgänger zwischen den künstlerischen Gattungen – auf Chamberlain trifft alles zu, und doch zeigt es nur, was alles in seinem Werk steckt. Wie souverän und spielerisch er mit Leichtigkeit und Schwere umgeht, allem Gewicht des Materials und der Schwierigkeit der Bearbeitung zum Trotz.
John Chamberlain wurde 1927 in Rochester/Indiana geboren, er hat an der berühmten Black Mountain School in North Carolina studiert und war früh mit Künstlern wie Willem de Kooning, Robert Rauschenberg und Jasper John befreundet. Heute lebt er in Florida. Bekannt ist er vor allem für eines: für seine Skulpturen aus geknautschten und gefalteten Autoblechen. Die Herkunft der Metallformen bleibt dabei erkennbar, Chamberlains Skulpturen gehen also noch ironisch mit dieser Ikone des American Way of Life um. Darin ist er ernüchternd und überwältigend im selben Atemzug. Neben den überlebensgroßen vertikal ausgerichteten Arbeiten entstehen ganze Felder aus einzelnen Formationen. Chamberlain setzt gezielt die Farben ein, so wie er sie vorfindet und zueinander anordnet, wechselnd zwischen dem glänzenden Metall und dem Zueinander von Schwarz und Weiß oder Starkfarbigkeit. Wiesen seine Arbeiten damit früher auf die Tradition der abstrakten expressiv-gestischen Malerei, so ist ihr „Look“ längst viel „cooler“, ja eleganter.
Die Arbeit von John Chamberlain ist also nie in der Idee steckengeblieben – die sozusagen sein Markenzeichen ist – sondern hat zu immer neuen Umsetzungen geführt. So waren im letzten Jahr in der Galerie Karsten Greve in Köln kleinere filigrane Arbeiten aus farbigen Blechen in einem Gefäß so arrangiert, dass daraus Blumensträuße wurden. Und es gibt die fotografischen Werke. Seit 1977 nimmt Chamberlain den Außenraum mit einer Panoramakamera auf, die er während des Belichtungsvorganges in der Hand schwenkt. Es entstehen Bildwelten aus langgezogenen Farbstreifen, Verwischungen und harten Kanten auf der glatten Fläche, die Wesentliches auch zu den Skulpturen mitteilen. Die zum Beispiel bestätigen, dass Chamberlain mit beiden Beinen im Tagtäglichen unserer Gesellschaft steckt, seine Themen aus dem gewinnt, was uns umgibt. Er sieht neu und setzt in plastische, körperhafte Form: ein echter Bildhauer eben, alte Schule, aber experimentell und sehr zeitgenössisch.
Nebenbei, die Ausstellung in Wuppertal, die sich auf die Skulpturen konzentriert, macht auch aus der Perspektive ihres Erfinders Sinn. In der Verwandtschaft, Nähe, aber auch Unterschiedlichkeit klärt sich die Position von Tony Cragg weiter. Tony Cragg, der Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie ist, seit vielen Jahren in Wuppertal lebt und mit seiner Family Foundation den Skulpturenpark Waldfrieden gegründet hat, ist selbst weltbekannter Bildhauer. Einen guten Überblick über sein plastisches Schaffen vermitteln die Arbeiten, die er seinerseits im Park zeigt. In ihrer organisch geschwungenen, homogenen Form sehen sie doch ganz anders aus als die ruppig-kantigen Werke von Chamberlain. Aber wenn es um das Wesen von Skulptur und ihren Dialog mit dem Umraum und dem Betrachter geht – mindestens da ticken Cragg und Chamberlain ähnlich.
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