Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 1

12.582 Beiträge zu
3.811 Filmen im Forum

Die spinnen, die Amis (Obelix-Zitat). An-Sofie Kestelyn. My First Rifle (Serie), 2013
© Courtesy of the artist

Süß bis zum Würgen

28. Oktober 2020

#cute im NRW-Forum in Düsseldorf – kunst & gut 11/20

Ist es so, dass das 99. Katzenvideo hintereinander gesehen einen Brechreiz auslöst? Keine Ahnung, aber rund 600 Millionen Mal wurde weltweit der Hashtag #cute benutzt. Bis jetzt. Und ein Ende ist nicht absehbar. Das Süße an sich in einer bedrohlichen Welt? Könnte man verstehen. Blöd nur, dass sich auch die ewig Gestrigen mit dem Monchichi-Effekt bemühen, neue Rekruten für irgendein Phantasia-Land tollzuschocken. Das NRW-Forum in Düsseldorf jedenfalls beschäftigt das „Süße“ an sich und zeigt mit „#cute. Inseln der Glückseligkeit“ eine große Ausstellung über kluge Warenästhetik und böse Geschmacksverirrung. Lauschen wir gleich mal Dr Cute (2019) alias Rachel Maclean, die uns in fünf Minuten mal eben die dafür benötigten Begriffe per Video erklärt, wenn wir das Monsterflauschige in den Bildern überhaupt aushalten können.

Fummelige Ministeck-Mitmach-Pandas

Monsterflauschig, monstersüß, dass kennt man in der Landeshauptstadt schon seit dem „Gefährliche Clowns“-Song von Der Plan, wo die 1979 „am Straßenrand stehn´“. Auch Krusty bei den Simpsons ist nicht wirklich niedlich. Dieser Effekt, ausgelöst durch eine Überdosis „cuteness“ – immerhin fällt der erste Blick in dieser Zuckerwelt auf zwei süße Pummelbabys im Kohl-Outfit (nicht Helmut!) von Anne Geddes – führt zwangsläufig zu Bildfindungen wie sie Katie Torn in ihrer 3-Kanal-Videoinstallation „Low Tide“ (2016-17) findet. Gruselig, nee, irgendwie nicht, der Blick auf die fummeligen Ministeck-Mitmach-Pandas ist schlimmer. Animal Cuteness nennt man diese zeitgenössische Abart, die schon Jeff Koons zu aufgeblasenen Kunststoff-Hunden und Stahl-Hasen (einer wurde gerade für absurde 91 Millionen US-Dollar versteigert) inspirierte. In Asien geht die Manga-Anime-Kultur mit ihren Auswüchsen in Cosplay und Devotionalien-Handel ähnliche Wege der Vermarktung, allerdings auf einem anderen Niveau als die üblichen Instagram-Kaspereien. Passend dazu die schöne weiße „Heldensammlung“ von Daniel und Geo Fuchs für „Toygiants“ (2004-2008). Very cute.

Die erste Knarre in pink

Wie weit diese Strategien der Umwidmung von Harmlosigkeit gehen, zeigt die Fotoarbeit (auf Aluminium, 2013) von An-Sofie Kesteleyn fast unbemerkt. Zu sehen ist ein kleines Mädchen auf einer riesigen grünen Wiese irgendwo auf der Welt (und das sind natürlich die USA), die ein längliches rosa Täschchen schleppt. Darin, und das erklärt auch den Titel der Serie „My First Rifle“, sogenannte Crickett Rifles. Gemacht für schießwütige Kids zwischen fünf und zwölf, leichtgewichtiges 22er-Kaliber und alles in schicken Neonfarben. Das ist nicht süß, das ist richtig übel. Dagegen machen sich die Monsterpuppen um den Besucher herum wie Scherzartikel aus. Sehr schön übernatürlich dagegen der bittersüße Dreier „Supernatural“ von Uli Westphal, der die Werbebilder auf Lebensmittelverpackungen zu bunten, in der Mitte gespiegelten Landschaften verwoben hat. Auch Lidl, Aldi und Netto (2010) werben boshaft mit dem Etikett des Paradiesischen.

Mein absolutes Highlight ist das kleine „Europe-Europe #1 (Businessman on Toy Factory) vom russischen Künstler*innen-Kollektiv AES+F aus Porzellan (2007-08) in einer Vitrine. Das ist Hypercuteness-Kitsch mit ernstem Hintergrund in perfekter Technik (Jeff Koons wäre beeindruckt). Schauen Sie es sich unbedingt an. 

#cute. Inseln der Glücksseligkeit | wieder 1.12. - 10.1. | NRW-Forum Düsseldorf | 0211 56 64 27 49

PETER ORTMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Konklave

Lesen Sie dazu auch:

Freie Form
„Jean Fautrier – Genie und Rebell“ im Emil Schumacher Museum Hagen – kunst & gut 08/24

Farbe an Farbe
Otto Freundlich und Martin Noël in Bergisch Gladbach – Kunst in NRW 06/24

„Der Begriff ,Heimat‘ ist vieldeutig“
Direktor Fritz Emslander über „Es gibt kein Wort …“ im Museum Morsbroich – Sammlung 05/24

Einfach mal anders
Das stARTfestival der Bayer AG in Leverkusen geht eigene Wege – Festival 04/24

Das eigene Land
„Revisions“ im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln – Kunst in NRW 03/24

Unter unseren Füßen
Archäologie der Moderne im Ruhr Museum – kunst & gut 02/24

Ende eines Jahrhunderts
George Minne und Léon Spilliaert in Neuss – Kunst in NRW 01/24

Kunst und Umgebung
„Produktive Räume“ in Haus Lange Haus Esters in Krefeld – Kunst in NRW 08/23

Leben ins Museum
Neue Sammlungspräsentation des MO im Dortmunder U – kunst & gut 06/23

Draußen, immer
Ein Skulpturenprojekt in Monheim – Kunst in NRW 02/23

Forschungsstation Zivilisation
Andrea Zittel im Haus Esters Krefeld – Kunst in NRW 12/22

Antennen in die Zukunft
„The Camera of Disaster“ in Mönchengladbach – Kunst in NRW 09/22

Kunst.

Hier erscheint die Aufforderung!