Überraschend, dass eine Meisterschülerin von Malerstar Neo Rauch, berühmt für seine surrealen figurativen Bildgeschichten, sich kompromisslos der ungegenständlichen konstruktiven Malerei verschreibt – und Formen und Farben zueinandersetzt, die nichts darstellen wollen und nichts anderes bezeichnen als sich selbst. Dass Franziska Holstein schon im Studium ihr Ding durchzog, zeugt von konsequenter Selbstgewissheit, die sie nun auch im Von der Heydt-Museum unter Beweis stellt. Im noch neuen Ausstellungsformat Freundschaftsanfrage war die Leipziger Malerin (geb. 1978) gefragt, mit persönlichem Blick und Bezug auf die eigene Arbeit das Museumsdepot zu durchforsten. Franziska Holstein förderte dabei Sammlungsschätze zu Tage, die in Wuppertaler Ausstellungen bislang wenig Beachtung fanden: konkrete Kunst des 20. Jahrhunderts, angefangen mit Kandinsky über Bauhaus-Lehrer wie Albers, Moholy-Nagy und Klee bis hin zu Konstruktivisten der Nachkriegszeit. 29 Werke, das jüngste von Ellsworth Kelly, 1994. Ihre Auswahlkriterien: „scharfkantig, flächig, konkret“. In lebendigem Dialog mit 25 eigenen aktuellen Arbeiten arrangierte Holstein eine Ausstellung, die die sechs Räume im ersten Stock des Museums auf eine nie gesehene Weise akzentuiert und dabei eine sinnliche, fast poetische Energie entfaltet, die man dieser Kunstrichtung kaum zugetraut hätte.
Schon der Auftakt ist ein Statement: Den 4,5 m hohen Saal dominieren vier deckenhohe Wandmalereien der Künstlerin. Sein weiter Innenraum, sonst für skulpturale Installationen genutzt, bleibt völlig leer. Ihre Wandbilder konfrontierte Holstein mit einem vergleichsweise winzigen dynamisch-rhythmischen Gemälde von Günter Fruhtrunk (1973), das sich verblüffend gut neben den Riesenformaten behaupten kann, ohne ihnen aber die Schau zu stehlen. Es geht hier um Wahrnehmungsschärfung, vergleichendes Sehen und Einfühlen.
Zwei angrenzende Räume gehören den luftig gehängten historischen Positionen. Öffnungen und Durchgänge setzen mit Blickachsen alte und junge Kunst stets in Beziehung. Im Siebdruck-Raum präsentiert die Künstlerin Josef Albers‘ Farb-Lehrbuch „Interaction of Color“ (1963) in einem spektakulären Überblick: „Es gibt da eine Parallele zu meinen eigenen seriellen Arbeiten“, sagt sie und breitet alle 81 aus dem Buch gelösten Siebdruck-Blätter nebeneinander auf einem überdimensionalen Tisch aus, den man umrunden kann, umgeben von drei ihrer aktuellen 18-teiligen Siebdruckzyklen an den Wänden. Blaue Formen beleben hier den weißen Grund, mit leichten Abwandlungen und Verschiebungen. Unweigerlich fahndet man nach dem Prinzip der Abwandlung. Die Suche ist müßig, doch der Reiz bleibt.
Der Parcours endet mit kraftvoller Malerei und offenbart Franziska Holsteins spezielle Art, Leinwände zu bearbeiten. Anders als die meisten ihrer Vorgänger arbeitet die Malerin ohne präzise Konzeption. Ihre Bilder entstehen im Malprozess, indem sie Schicht auf Schicht auf Schicht setzt, bis die erzeugte Farb-Form-Konstellation sie zufriedenstellt. An den offen gezeigten Leinwand-Kanten sieht man Farbspuren früherer Zustände und ahnt die dahinterstehende malerische Power.
Franziska Holstein–Freundschaftsanfrage No.2 | bis 24.9. | Von der Heydt-Museum, Wuppertal | 0202 563-6231
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