Der Titel ist Programm. Die Ausstellung „Die Unsterblichkeit der Sterne“ im Kunstmuseum Solingen stellt Kunst und Literatur aus Deutschland im 20. Jahrhundert vor, an deren Vergessen Machthaber und Systeme massiv gearbeitet haben. Sie liefert erschreckende Beispiele im Umgang mit Kultur in den zwei Weltkriegen wie auch durch Machthaber in West und Ost. Zugleich demonstriert sie die Notwendigkeit von Kultur.
Das Kunstmuseum Solingen rückt mit dieser Ausstellung – ergänzt um weitere Leihgaben – einen Teil seines Bestandes ins Rampenlicht, der vielleicht wenig bekannt ist: das „Museum der verfolgten Künste“. Es zeigt Aspekte aus der Kunstsammlung Gerhard Schneider und aus der Literatursammlung Jürgen Serke. Die Sammlung von Gerhard Schneider ist Teil der 2004 in Solingen gegründeten „Bürgerstiftung für verfemte Künste“. Sie umfasst gegenständliche deutsche Kunst des 20. Jahrhunderts, über den Expressionismus der künstlerischen Avantgarde, der auf den Ersten Weltkrieg reagiert, und die kritischen Milieudarstellungen der Jahre zwischen den Weltkriegen hin zu Werken, die im Naziregime als „entartet“ verfolgt wurden oder im „inneren Exil“ entstanden sind. Ein weiteres eigenes Kapitel dieser Sammlung ist der künstlerische Widerstand in der DDR. Darüber hinaus geht die Sammlung von Gerhard Schneider der Geschichte der gegenständlichen Kunst im 20. Jahrhundert und ihrer Anerkennung bzw. Geringschätzung nach.
Die Sammlung von Jürgen Serke beschäftigt sich ihrerseits mit den Büchern, die durch die „Bücherverbrennung“ im Dritten Reich eliminiert werden sollten oder die in der DDR nicht erscheinen durften, und den Schriftstellern, die im Untergrund publizieren mussten oder emigriert sind und schließlich vergessen wurden. Die Bücher, Briefe, Fotografien und Typoskripte, die der Journalist Jürgen Serke dazu in vier Jahrzehnten zusammengetragen hat, wurden vor einigen Jahren von der in Wuppertal ansässigen Else Lasker-Schüler-Gesellschaft erworben und dem Kunstmuseum Solingen als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt.
Mit diesen so unterschiedlichen Beiträgen ist die Ausstellung in Solingen ein intuitives Unterfangen. Auch lässt sich Literatur, welche geformte Sprache mit feinen Nuancen ist, gewiss schwieriger vermitteln als Bilder in ihrer Anschaulichkeit und Sinnlichkeit. Als einen Anlass dieser Ausstellung nennt das Kunstmuseum den 70. Todestag von Walter Benjamin, dem Schriftsteller, Literaturkritiker und Kulturwissenschaftler. Hauptwerke aus seiner Bibliothek sind ebenso ausgestellt wie Dani Karavans Modell der Gedenkstätte von Port Bou an der spanischen Grenze, dort wo Benjamin sich nach gescheiterter Flucht vor der Gestapo das Leben nahm.
Von hier aus reicht die Ausstellung zurück und weiter in die Gegenwart. Sie zeigt Gemälde und Radierungen von Francisco de Goya (1746-1828), der eindringliche Bilder für die Schrecken des Krieges angesichts der Grausamkeiten während der napoleonischen Besetzung Spaniens findet. Vorgestellt wird dazu der Roman „Goya“, den Lion Feuchtwanger nach seiner Emigration im amerikanischen Exil geschrieben hat.
Ein weiteres Kapitel widmet sich dem Schaffen von Václav Havel, dem Prager Dramatiker und Dramaturgen, der seit 1968 Publikationsverbot in der damaligen Tschechoslowakei hatte, 1977 einer der Sprecher der Bürgerrechtsbewegung „Charta 77“ war und verhaftet wurde und viel später Präsident seines befreiten Landes wurde.
Natürlich ist diese Ausstellung auch eine Aufforderung, sich mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts und den Werken selbst auseinanderzusetzen, die Bücher zu lesen. All dies trifft sich mit den Zielen der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft in Wuppertal. Else Lasker-Schüler, die in einer jüdischen Familie 1869 in Elberfeld geboren wurde, floh 1933 aus dem Nazi-Deutschland über die Schweiz nach Jerusalem, wo sie 1945 verarmt starb. An der Herzogstraße in Wuppertal ist ihr ein Denkmal gewidmet – mit ihrem Schicksal steht sie noch für viele Schriftsteller, Künstler, Musiker, weltweit. „Wir, die Else Lasker-Schüler-Gesellschaft, möchten an das Schicksal der Künstler erinnern, deren Bücher verbrannt, deren Kunstwerke zensiert und verboten wurden, die verfolgt wurden und emigrieren mussten“, heißt es in der Präambel der Gesellschaft – die Ausstellung in Solingen trägt zur Erinnerung bei.
Die Unsterblichkeit der Sterne, Von Goya über Walter Benjamin zu Václav Havel I 2.10.-5.12. im Kunstmuseum Solingen I www.museum-baden.de
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