Nun also wollen Susanne Abbrederis als Chefin des Schauspiels und Opernintendant Toshiyuki Kamioka die Zeitgenossenschaft der ihnen anvertrauten Sparten behaupten. Was wird wohl aus „einer der einstmals exponiertesten Bühnen der Republik“, wie es der ehemalige Intendant der Theater Köln und Bremen, Klaus Pierwoß, in einem offenen Brief hinsichtlich des Schauspielhauses fragte, werden? Die Stadt ließ den schönen Neubau irgendwie links liegen. „Welcher Stadtpolitiker hat sich von diesen Rahmenbedingungen eigentlich eine Zuschauer-Attraktivität versprochen?“, fragte Pierwoß. Stattdessen gibt es nun das Theater am Engelsgarten, dieses lange diskutierte sogenannte Kleine Schauspielhaus, das erstmals zum Monatsende bespielt wird. Dann hat der Liederzyklus „Die schöne Müllerin“ mit Kompositionen von Franz Schubert Premiere. Textbasis ist die von Willhelm Müller verfasste Gedichtsammlung, 1821 erschienen und so etwas wie ein Programmzettel zur Romantik. Es geht um einen jungen Mann, der schwer romantisch einem Bachlauf folgend wandert. Er verliebt sich in die Tochter seines Meisters, glaubt sich aber chancenlos, weil er bloß Müllergeselle ist. Tatsächlich verlässt die Angebetete ihn nach einem kurzen Techtelmechtel für einen Jäger, weshalb der Liebeskranke sich ertränkt. Deklariert als Liederabend für Singstimme und Klavier, ist es ein Abend für neun Schauspielerinnen – also neun neue Gesichter. Aus Christian von Treskows Ensemble ist lediglich Thomas Braus den Wuppertalern erhalten geblieben.
Und auch die Oper ist um Umbruch. Toshiyuki Kamioka hat entgegen vormaliger Behauptungen sämtliche Sänger entlassen und die Dramaturgen und Pädagogen gleich mit. Die Zukunft plant er mit Freiberuflern, also Gästen. In Nachbarländern wie Belgien und Holland funktioniert dieses kostensparende Prinzip wunderbar: Je nach Inszenierung ist immer ein Team von Spezialisten zum Thema am Start. Als aber vor ein paar Jahren Wuppertal bloß mit dem Musiktheater im Revier Gelsenkirchen zum Schiller-Theater NRW fusionieren sollte, brachen die Zuschauerzahlen ein. Das Publikum hatte nicht das Gefühl, „sein Ensemble“ zu erleben.
Als Auftakt wird Puccinis „Tosca“ gezeigt. Die Oper ist eine Geschichte aus Liebe, Eifersucht und Intrigen mit weltbekannten Arien und spielt an zwei Sommertagen und -nächten vor dem Hintergrund der Schlacht bei Marengo. Im Mittelpunkt stehen die exzentrische Sängerin Floria Tosca, ihr Geliebter, der liberale Maler Mario Cavaradossi, der politische Gefangene Angelotti und ein korrupter Polizeichef. Letztlich kann das Stück auch als Kritik am staatlichen Überwachssystem verstanden werden. Eingefleischte Opernfans kennen es selbstverständlich und auch den hochgelobten italienischen Regisseur Stefano Poda, der hier verantwortlich zeichnet. Vielleicht sogar dessen frühere „Tosca“-Bearbeitung, die 2012 in Klagenfurt herauskam. Damals war es weniger Thriller als „perfekte, schöngeistige Durchgestaltung der Szenerie“. Raffinierte Lichteffekte unterstützten stimmungsvolle Bilder von beeindruckender Ästhetik, eine spektakuläre Finalszene inklusive. Das eigentliche Spiel dagegen wirkte irgendwie harmlos, die dem Stoff innewohnenden dramatischen Aspekte seien zu kurz gekommen.
Ob der Dramatik bei der Wuppertaler „Tosca“ mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden wird, kann erst ab der Premiere am 5.9. beurteilt werden. Auch hier wird die Handschrift Sefano Podas erkennbar sein, es handelt sich aber um eine eigenständige, neue Produktion mit einer anderen Besetzung.
„Tosca“ | R: Stefano Poda | 5.9.(P), 10.9., 12.9., 13.9., 14.9. 19.30 Uhr | Opernhaus | 0202 563 76 66
„Die schöne Müllerin“ | So 28.9.(P) 18 Uhr | Theater am Engelsgarten | 0202 563 76 66
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