Eben noch schüttelt Thomas Braus, der spielende Intendant des Theaters bei der Premiere den Gästen die Hand, da steht er auch schon als gestylter Schöller auf der Bühne. Respekt. Schöllers Pension wird der Schauplatz eines unerhörten Vorgangs sein. Gäste werden zu Insassen einer Heilanstalt, Professoren zu Irren und Diener zu Gattinnen. Ist das noch normal. Nee. Eigentlich nicht. Das ist die vorsichtige Umschreibung für ein turbulentes Lustspiel, das in der Oper neben der Schwebebahn just Premiere feierte. „Pension Schöller“ von Carl Laufs und Wilhelm Jacoby stammt bereits aus dem vorletzten Jahrhundert (1890) und hat deshalb immer ein paar sprachliche und inhaltliche Modifizierungen (in Wuppertal Jürgen Wölffer) inklusive Streichungen nötig. Aber der boshafte Klang des Irrsinns ist natürlich geblieben, das Unverständnis über Normalität und ihrer wahren Bedeutung auch.
Alexander Marusch hat die Kamelle inszeniert, mit Schöllers die aussehen wie Groucho Marxe, mit Che-Guevara-Attitüde und Eugen, einem Möchtegern-Schauspieler, der eigentlich eher Sprachfehler-Springinsfeld ist. Das alles hatten Carl Laufs und Wilhelm Jacoby bereits angelegt: wie furios man über große Bühne fliegen kann, so etwas gab das Boulevard-Theater damals wohl noch nicht her. Ort des Geschehens ist das Cafe Schöller in Berlin, das sich mit italienischem Besitzer – wohl zweite Generation – und Toscana-Flair einen Namen gemacht hat und als Pension auch immer interessante und illustre Gäste beherbergt. Die Bedienung wuselt, auch die Tochter des Hauses mischt da als Mann verkleidet mit, Marusch hat alles bis ins Groteske überzeichnet, selbst das Interieur des Bühnenbilds (Gregor Sturm) ist außergewöhnlich: Nur zwei große grüne Polsterlandschaften mit Geheimtüren stehen da vor einer Florenz-Riesenleinwand herum. Hin und her gerückt, multifunktional, das Ensemble agiert fast wie die Monty-Python-Truppe ohne Türenschlagen und dem üblichen Hin und Her, und so bleiben die herrlich überzeichneten Figuren immer im Zentrum.
Der tiefere Sinn (und das ist modernisiert), Philipp Klapproth will eine Irrenanstalt auf seinem Landsitz im brandenburgischen Kyritz (auch Kyritz an der Knatter genannt) bauen, das sei zeitgemäß und lukrativ angesichts der demografischen Zahlen und der deshalb zu erwartenden Verrückten. Dumm nur, dass Neffe Alfred Klapproth (herrlich linkisch Alexander Peiler) Geld benötigt um sein Künstler-Café in der Metropole finanzieren zu können. Um den Onkel abzulenken, schickt er ihn in die Großstadt in die Pension Schöller, dort seien die Irren zu Haus und dort könne man sehen, was der Bau einer solchen Anstalt in der Provinz bedeuten könne.
Und Onkel Philipp (Stefan Walz) fällt auf den Trick herein, mietet sich in der Pension ein und – erlebt sein grünes Wunder: Slapstick ohne Ende, Dialog-Possen bis hinter die Schmerzgrenze, die Regie fährt alles auf, was mit italienischem Eisdielen-Flair (inklusive riesiger Cinzano-Werbung) und der dazugehörigen Verve vertretbar sein könnte. Irre ist da natürlich niemand, aber exzentrisch schon. Da fuchtelt der General a.D. (Mirko Greza) schon mal mit dem Krückstock durch die Lüfte, Josephine Zillertal (Philippine Pachl) sucht lasziv und permanent Stoff für neue Liebesromane und der weitgereiste Professor Bernhardy (Konstantin Rickert) ist mehr Revoluzzer als Wissenschaftler. Publikumsliebling aber ist Martin Petschan als Eugen, der konzentriert jedes L als N sprechen muss, was zu fatalen Lachstürmen im Publikum und auch in der Pension „Schönner“ führt. Wie eine Elfe hüpft er über Bühne und Polster, immer einen finalen Satz aus einem deutschen Klassiker deklamierend. Der Weg zum Schauspielberuf scheint wie ein roter Faden in der Inszenierung zu funktionieren. Dem Ensemble macht das alles sichtlich Freude, ihr komödiantisches Talent versetzt die vermeintliche Nervenheilanstalt tatsächlich in den Dauer-Klamauk. Onkel Philipp amüsiert sich angesichts der vielen „Irren“ und mischt mit, bis sie ihn alle nach seiner Rückkehr ins Brandenburgische besuchen. Hier blüht dann aber endlich auch seine Schwester Ida (Lena Vogt) auf und findet den Irren fürs Leben, Klapproth erkennt seinen Irrtum und schämt sich, die Liebenden Franziska (Julia Reznik) und Alfred finden sich, und Schöller? Thomas Braus macht nach seinen wilden sprachlichen und mimischen Eskapaden eine wunderbare Ansage: Weil Halbzeit seiner ersten Spielzeit ist, dankt er den unsichtbaren Mitarbeitern hinter der Bühne. Macht auch nicht jeder.
„Pension Schöller“ | R: Alexander Marusch | Mi 7.3., Sa 17.3. 19.30 Uhr, So 15.4. 16 Uhr | Opernhaus | www.schauspiel-wuppertal.de
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